Es ist Samstag Nacht auf dem Southside Festival, Justice stehen auf der Bühne sind gerade mitten in ihrem Set. Ein mir bis dato unbekannter Festivalbesucher steht rechts neben mir, blickt mit einem breiten Grinsen und etwas ungläubigem Kopfschütteln auf die Bühne und kommentiert den Auftritt der Band mit einem begeisterten “Ey, wie gut kann Musik sein”.
Es sind Momente der Einigkeit, der Euphorie und des geteilten Schicksals (von randvollen Dixies und all dem, was ein Festivalbesuch an Widrigkeiten mit sich bringt), die ein Festival zum außergewöhnlichen Erlebnis machen.
Es ist in diesem Jahr ein mit Musikgeschichte vollgepacktes LineUp auf dem Southside Festival: The Cures Album “Wish” wird in diesem Jahr zwanzig, New Order bringen eine Spur Joy Division auf die Blue-Stage, Oasis-Mann Noel Gallagher kann sich über seine wiedervereinigten Vorbilder The Stone Roses freuen; und auch Die Ärzte haben an dieser Stelle, wenn auch zähneknirschend, dank 30 Jahren Bandgeschichte ihren festen Platz. Die Liste ließe sich fortsetzen, in den zweistelligen Bereich ausweiten.
Sie soll aber letztlich nur eines zeigen: Die Erwartungshaltung an das Musikprogramm ist durchaus hoch, als ich am Donnerstag Nachmittag mein Zelt aufschlage, kurz darauf einen orkanartigen Sturm und Regenschauer im frisch verankerten Heim vorbeiziehen lasse; und an dieser Stelle schon an die Wetterlage der vergangenen beiden Southside-Ausgabe erinnert fühle. Letztlich kam es doch anders: Anders als erhofft war das Wetter nicht unerwähnenswert unspektakulär, sondern (für Southsideverhältnisse) spektakulärst gut; zumindest wenn man die Kapriolen von Donnerstag Abend, die Kälte in der Nacht und den Regen am Sonntag ausklammert.
Letzterer sei aber, aus Veranstaltersicht, gar nicht so unerwünscht, hieß es auf der abschließenden Pressekonferenz – das kühle die Gemüter etwas ab. Aber – und damit soll das Kapitel Wetter auch abgehandelt sein: wir meckern an dieser Stelle auf hohem Niveau. Ein komplett matschfreies Southside mit derart festivalverträglichen Temperaturen ist eine wertschätzungswürdige Rarität.
Musikprogramm – Freitag
Die erste Band des Festivals auf dem persönlichen Spielplan heißt Kakkmaddafakka, was, mit Verlaub, ein ziemlich bescheuerter Name für eine Band ist. Die Norweger scheinen das jedoch anders zu sehen, nachdem sich die Animationsversuche zwischen den Liedern auf ein penetrant gebrülltes “Say Kakkmaddafakka” begrenzen. Geht dann durchaus in den Bereich des Nervigen, wenn sich dieses Verfahren durch die gesamte Konzertlänge von 30 Minuten zieht. Einen gewissen Unterhaltungswert bringt die Band jedoch durchaus mit sich: Alleine die Matrosenoutfits und Choreo der Background-Tänzer. Hach! Würden sich die Pisslochgräber und Unterhemdträger des Festivals zu einer Indie-Band vereinigen, sie könnten Kakkmaddafakka Konkurrenz machen. Oder in kurz: Ein Konzert, das musikalisch gesehen Potential nach oben lässt, zum ersten Anheizen der Zuschauer aber durchaus taugt. Oder in noch kürzer: Kakkmaddafakka.
Deutlich höher sind die Erwartungen an Florence + The Machine. 2010 von mir noch ihres leicht abgefahren Verhaltens wegen in die Hexen und Exorzismus-Schiene gedrängt, konnte sich Florence Welch spätestens mit dem MTV Unplugged einen Platz in meinem musikalischen Horizont erkämpfen.
Bei ihrer zweiten Live-Chance wirkt Florence deutlich näher am Publikum; und dazu besser gelaunt. Ihre Erinnerung an das Southside 2010 beschränke sich auf Regen und Jägermeister, gesteht sie im Laufe des Konzerts. Die großen – oder übertriebenen? – Posen sind geblieben, auf ein abgefahrenes “Ich verstecke mein Gesicht hinter einem Schleier”-Verhalten verzichtet Florence dagegen. Was bleibt, ist eine Florence Welch als lebendes Gesamtkunstwerk. An sich hervorragende Bedingungen für ein gutes Konzert. Es bleibt einzig das ureigene Southside-Problem des Soundmatsches: Genauso wie Florences Kleid im Wind flattert, zieht es den Bass von Nneka auf der Red-Stage bis vor die Blue-Stage auf Wavebreaker-Höhe. Als dann noch Besucher einige Reihen weiter hinten mit “Song für Liam”-Gegröle anfangen, steht fest, dass es bei den anderen Bands auf der Wunschliste näher an die Bühne geht. Und, dass man den eigenen Maßstab an das Verhalten bei Konzerten nicht auf andere anwenden darf. Schon gar nicht auf solche, die stereotypisch passend, mit ihrem “Abitur 2012”-Shirt herumlaufen.
Entsprechend weiter nach vorne geht es bei Noel Gallagher. Der macht genau das, was von ihm erwartet wird: Das Album “Noel Gallagher’s High Flying Birds” mit einigen Oasis-Liedern untermischen. Wie schon in der Tonhalle im März macht “(It’s Good) To Be Free” den Anfang. Am Ende kommen “Little By Little” und – wie könnte es anders sein – “Don’t Look Back In Anger”. Dafür wird er am Ende vom Publikum am meisten abgefeiert. Die Fans wollen von den Gallagher-Brüdern nunmal Oasis. Der Solokram? Vielleicht ganz gut, aber nicht so wichtig. So zumindest der Eindruck auf dem Southside. Ganz abwegig scheint dieser nicht zu sein, nachdem mittlerweile auch Liams Beady Eye wieder auf die Zugkraft der Oasis-Lieder bauen möchten. Das ist so nicht wirklich innovativ, erfüllt aber doch die Wünsche der meisten Zuschauer.
Allzu viele Leute kann jedoch selbst die Erwartung auf Oasis-Hits nicht vor die Blue locken. Parallel läuft Deutschland – Griechenland. Da kann das “Musik” im Musikfestival durchaus mal ausgeklammert werden.
Viele, die bei Noel da waren, vermissen am Ende “Supersonic” und “Wonderwall”, die durch die Kürzung des Sets auf Festivalformat aus der Liste fallen. Alle “Wonderwall”-Süchtigen können jedoch problemlos auf dem Campingplatz an Ersatzdrogen kommen: Alle – gefühlte – zehn Meter kommt am Campingplatz eine Gruppe mit Amateur-Gitarristen und “I Don’t Believe That Anybody Feels The Way I Do About You Now”-Jaulern.
Es geht weiter zu einem der Höhepunkte des Festivals: Mumford & Sons. Eine Band, die seit Jahren herbeigesehnt wurde vom Southside Publikum. Und kurz vor dem Festival einen ordentlichen Schrecken mit Marcus Mumfords gebrochener Hand auslöste. Wie würde die Band mit den engagierten Ersatzmusikern funktionieren? Am Anfang des Konzerts scheint sich der Frontmann diesbezüglich noch nicht allzu sicher zu fühlen: Er klammert sich ein wenig an den Rasseln fest, schließlich hat er – sozusagen – Live-Premiere in dieser Form.
Bezeichnend, dass “Little Lion Man” auf Platz zwei der Setlist steht, das Konzert dadurch aber keineswegs an Fahrt verliert. Die einzelnen Lieder werden mit einem frenetischen Klatschen des Publikums gefeiert. Laute Sprechchöre wiederholen den Refrain nach Ende des Lieds. Eine Stimmung im Wellenbrecher, wie es sie auf deutschen Festivals selten gibt. Gänsehautmomente ab dem ersten Lied.
Der so entstandene Eindruck kann nun nur noch verwässtert werden: Es bleibt die Wahl zwischen Bonaparte und Die Ärzte. Von ersteren wird hauptsächlich “Too Much” mitgenommen. Es wirkt so, als habe sich die Band die letzten Jahre nicht im geringsten verändert. Darunter leidet die Verrücktheit der Bühnenshow. Und das kann sich eine Band, die ausschließlich davon lebt, eigentlich nicht leisten. Die Ärzte spielen vor einem Publikum, das fast bis zur White Stage gegenüber reicht. Überhaupt: Die ganzen Ärzte-T-Shirt-Träger an Tag eins zeugen davon, wie sehr die Band als Headliner taugt. Und, so unsere Info von der PK: Auch 2013 wird es für Bela, Farin und Rod wieder auf Festivals gehen. Bei Ankunft spielen Die Ärzte gerade “Westerland” und gehen dann von der Bühne, um ihre Zugabe mit “Himmelblau” und “Junge” zu beginnen.
Letztere wird aber nicht mehr voll mitgenommen, denn es geht weiter zu Justice. Die Beine sind mittlerweile schwer, und die Temperatur ist auch nicht mehr wirklich Juni-adäquat. Gut kommt das französische DJ-Duo dennoch an, ist es doch Anlass für die bereits erwähnte “Ey, wie gut kann Musik sein”-Aussage meines Nachbarn. Einzig die Keyboard-Einsätze von Gaspard, naja, die hätte es nicht gebraucht. Ein auf mindestens 15 Minuten langgezogenes “We Are You Friends” schließt dann das Set und Festivaltag eins ab.
Unsere Bilder vom Southside