Ist wirklich schon der dritte Tag? Unglaublich schnell ist die Zeit an diesem Southside Festival vergangen. Nach Höhepunkt Mumford & Sons am Freitag und live erlebter Musikgeschichte am Samstag geht es am Sonntag für mich persönlich vom Musikprogramm her weitaus ruhiger zu.
Mitgenommen wird daher zunächst einmal die Pressekonferenz: Zufrieden, ja, hochzufrieden, sind die Herren da vorne alle. Der Mann vom SWR präsentiert seinen Kanal als “Festivalsender Nummer 1”, und Dieter Bös von KOKO stellt gar eine weitere Vergrößerung des Festivals in Aussicht. Dazu später mehr in einem eigenen Artikel.
Andreas Sengebusch, Festivalleiter von FKP Scorpio, gibt sich da zurückhaltender, spricht die getätigten Dekorations-Maßnahmen an. Man wolle das Festival weiter zum Gesamterlebnis ausbauen – der kleine deutsche Glastonbury-Cousin werden sozusagen. In der Hinsicht ist auf dem Festivalgelände wirklich einiges passiert: die Bühnenzelte haben Flaggen bekommen, die White-Stage wird bei Nacht beleuchtet. Der Eingang trägt fortan eine aufblasbare Krone, mit der ich mich nicht so ganz anfreunden kann: Eine Burger King Krone aus Papier auf den “Southside”-Lettern hätte den gleichen “Wow”-Effekt gehabt. Durchaus annehmbar sind dagegen die Walking Acts, vor allem die überlebensgroßen Glitzer-Menschen bei Nacht. Das sind allesamt nette Spielereien, die Spaß machen. Im Vordergrund bleibt aber weiterhin die Musik.
Auch an anderer Stelle ist viel passiert: Aus elendig langen Wartezeiten auf das Festivalband wurden in diesem Jahr Minuten. Das Projekt 24/5 verbuchen die Veranstalter als Erfolg, doch es wirkt so, als hätten die meisten Lotsen selbst auch Spaß gehabt an der Sache. Einzig das neue Müllkonzept. Naja. Mülltrennung vor Ort wäre zu schön, ist es doch eine wirklich brauchbare Umweltmaßnahme und kein bloßes Greenwashing. Man könnte nicht behaupten, FKP Scorpio habe es nicht probiert: In vernünftigen Abständen standen Sammelstationen auf dem Gelände. Bloß ist das Menschenbild des gemeinen Festivalgängers in der Realität nicht annähernd so positiv wie man es sich erhofft. Oder, um es konkreter zu benennen: Stelle einen Container mit der Aufschrift “Papier” auf, und du kannst fast damit rechnen, dass in dieser Tonne alles andere außer Papier landen wird. Schade.
Musikalisch gesehen startet der Tag mit Casper. Aufmerksame Festivalisten-Leser wissen das ja mittlerweile, ich mag den seit “xoxo”. Wie viele andere. Daher ist die Blue Stage um 16:30 auch weitaus voller, als am Abend zuvor bei Bluehead New Order oder den Stone Roses in wenigen Stunden. Das entsprechend große Publikum will Casper animieren. Er fordert mehrfach zum Schreien, Klatschen, Hüpfen und Mitsingen auf. Das funktioniert bisweilen sogar erstaunlich gut. Auch in den hinteren Reihen. Als “So perfekt” vorbei ist, geht es für mich in die White Stage zu Bratze. Auf dem Weg, vorbei an dem “Bravado”-Stand für Merchandise und den Fressbuden, höre ich im Hintergrund, dass Casper nochmals die Bühne betreten hat. Bratze werden dann als die wohl brauchbarste Audiolith-Band einfach mal mitgenommen. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen sie nicht.
Bevor Wolfmother starten, geht es für einen Kurzabstecher in den Pressebereich. Auf den Bildschirmen laufen gerade LaBrassBanda. Als Chiemgauer, wo Stefan Dettl und Band herkommen, ist es schon komisch, die Band getrennt durch einen Fernseher und eine meterhohe Bühne mitzuerleben. Damals, vor nicht allzu vielen Jahren, wurde die Band noch bei fünf Euro Eintritt für Dorffeste gebucht. Die ersten zaghaften Konzerterlebnisse. Ha! Mittlerweile sind die Massenphänomen; und werden es auf absehbare Zeit auch bleiben.
Jetzt aber Wolfmother. Rein in den Wellenbrecher, wo bereits erste Teenies im blink-182-Shirt warten. Wolfmother selbst liefern eine große Rock-Show: Als ein schwarzer Fußball mit Totenkopf-Emblem auf der Bühne landet, kickt Andrew Stockdale ihn lässig zurück in den Zuschauerraum. In Anlauf zwei werden die Kameraleute getroffen, reagieren gereizt. Andrew fordert sie dagegen auf, den Ball erneut auf die Bühne zu werfen, um ihn dann Volley zu nehmen und bis hinter den Wavebreaker zu kicken. Das Lied geht dabei unbeirrt weiter. Das ist stark! Das Set selbst überzeugt, die Zuschauer feiern. Nach “Joker And The Thief” geht es für Stockdale auf die Knie – eine Verneigung vor den Fans.
Nach Ende des Konzertes führt der Weg zurück auf den Campingplatz, vorbei an den Sportfreunden Stiller, die gerade ihr EM-Lied beendet haben und mit “Wunderbaren Jahren” beginnen. Die Blue Stage ist mittlerweile noch voller als bei Casper. Und die Bühnenaufbauten durchaus imposant. Halten beim Konzert kann sie mich dennoch nicht. Denn mittlerweile ist es – zumindest für Shirt-Träger – unangenehm kalt. Dazu nieselt es. In der Wartezeit auf The Stone Roses verschlechtert sich die Lage: Der Wind wird stärker, noch bleibt es allerdings trocken.
Zu The Stone Roses geht es trotzdem: Ich kann nicht behaupten, die Roses seien Helden meiner Jugend. Als die Briten auf ihrem Zenith standen gab es mich noch nicht – und zu Zeiten des desaströsen Reading-Auftritts im Jahr 1996 standen bei mir gerade die drei Fragezeichen und “Fetenhits” von den Schlümpfen hoch im Kurs. Dennoch: Seit der Wiedervereinigung habe ich sie ein Stück weit lieb gewonnen, bin gespannt darauf, ob die Boyband von damals mittlerweile erwachsen geworden ist: Von den Klamotten her muss man das eindeutig verneinen: Sneaker und Hose von Ian Brown wirken doch etwas… jugendlich. Das aber ist noch harmlos im Vergleich zum Drummer, der mit seinem Kopftuch und The-Stone-Roses-Basketball-Trikot auch locker einen Platz bei den Backstreet Boys einnehmen könnte.
Musikalisch gesehen ist der Auftritt der Stone Roses aber mehr als anhörbar, auch bei mageren Kenntnissen der Diskographie: Viele der Lieder kommen mir zwar bekannt vor, zuordnen kann ich sie aber nicht. Am Ende des Sets warte ich über mehrere Lieder auf “I Am The Ressurrection”, schließlich hat die Band bereits überzogen. Als das letztlich kommt, wird deutlich, dass wir nicht in England sind: Den “I Am Ressurection”-Part lässt Ian Brown aus – Gewohnheit. Dort nämlich wird das Lied selbst in der Umbaupause anderer Bands mitgegrölt. Hier ist dagegen der Wellenbrecher gerade halbvoll und leise. Mit einer in hohem Maße wunderlichen, und irgendwie pubertären, “Schaut wie stark ich bin”-Pose von Ian Brown, verabschiedet sich die Band von der Bühne, nachdem zuvor noch sämtliche Rasseln und das Trikot des Drummers im Publikum verteilt wurden. Ian Brown hatte zwischenzeitlich sogar eine Gitarre auf die Bühne geholt, die anderen Bandmitglieder halten ihn jedoch davon ab, weiteres Bandinventar im Publikum zu verteilen.
Damit ist das Southside Festival 2012 rum. Zumindest musikalisch. Gut war es, wiedermal. Für mich. Würde man die Fans am Ende von ihrem Festival erzählen lassen, wir bekämen wohl 55.000 Versionen. Ausgesprochen einig sind sich dagegen die meisten großen Medien: “55.000 begeisterte Fans rockten beim Southside 2012″, so der Tenor. Wenige Parameter kommen dort bei der Nachberichterstattung zusammen: $Wetter, $Headliner, $Datum und $Besucherzahl. Ist das Wetter schlecht, tanzten die Fans begeistert im Schlamm; scheint die Sonne, trotzten sie tapfer der Hitze und feierten in der brütenden Hitze. Das Festival wird so dargestellt wie eine große Party, was es ja auch ist. Aber Festival ist so viel mehr: die gemeinsamen Stunden auf dem Campingplatz, die persönliche Lieblingsband um 13 Uhr irgendwas auf der Red Stage oder die neue Festivalbekanntschaft… Das Festivalerlebnis des Einzelnen fängt oft da an, wo die Berichterstattung der Großen aufhört. Denn es ist das “Mehr”, was ein Festival wirklich ausmacht.
Unsere Bilder vom Southside 2012