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Albumreview: John K. Samson “Provincial”

Thomas Regniet

Festivalfficionado, Fotodude

Neurobiologe, Festivalliebhaber. Verdient seine Brötchen mit Webseitenkonsulting (Strategische Planung, Erstellung, Pflege) bei 70six.de.

John K. Samson ist normalerweise bekannt als Sänger der kanadischen Band The Weakerthans. Zugleich ist er auch der Mann, der mit jedem Album aufs neue eindrucksvoll beweist, dass sich nahezu jegliche Lebenslagen in Worte fassen lassen. Seit einiger Zeit ist er als Solokünstler unterwegs. Nun gibt es das erste Album, das den Namen “Provincial” trägt. Auf diesem entführt John K. Samson den Zuhörer auf eine Reise durch die Straßen seiner Heimat.

Aus der Vergangenheit waren so manchem The Weakerthans für ihre abwechslungsreiche Kombination aus Indie, Punk, Folk und einer Prise Rock ‘N’ Roll geläufig; irgendwo zwischen Arcade Fire und den Counting Crows bewegt man sich. Die Alben sind dabei stets mehr als nur hörenswert. John K. Samson gilt vor allem durch seine bemerkenswerten Texte und seine außergewöhnliche Stimme als Kopf der Band.

Das erste Soloalbum muss sich nun an solchen Vorgängeralben wie “Reconstruction Site” oder “Left and Leaving” messen; die Erwartungen sind dementsprechend hoch. Aber wo liegt nun überhaupt der Unterschied zwischen The Weakerthans und John K. Samson Solo? Um ehrlich zu sein, es gibt keine offensichtlichen Abweichungen, geschweige denn Neuerungen. Von Grand Hotel van Cleef veröffentlicht, und mit dem Layout eines bekritzelten Schulheftes liegt das Digipack in meinem Briefkasten.

Auf einer musikalischen Reise durch Kanada begleitet den Zuhörer nun durchgehend John K. Samsons unverwechselbare, etwas ausgefallene Stimme. Verfangen in den Erzählungen des Sängers, mag man sich, um es mit den Worten Frank Turners zu sagen, so manches Mal die Frage stellen: “Wo kam diese Stimme her? Und wo ging sie hin?”

Mit dem Song “Highway 1 East” startet die Tour. Dort berichtet Samson von der Einsamkeit, die einen während der Fahrt über den besagten Highway 1 einholen kann. Das Navi, das einzige was man gelegentlich während der Tour noch kennt, sagt einem man sei nirgends, irgendwie gar nicht da. Textlich durchaus einprägsam, durch eine Trombone durchaus stimmungsvoll untermalt, und dennoch nicht sonderlich beeindruckend, zieht der Opener vorbei. Dann folgt der Titel “Heart of the Continent”. Bis hierhin bleibt die Platte ruhig, obwohl man in jenem Song mit den gewaltigen Launen der Natur konfrontiert wird. Die Reise führt hier nämlich durch Regen, Donner und Sturm (“while rain and thunder drop and roll, then stop short of a storm, leave the air stuck with this waiting to be born”). Von Akustikgitarre und Schlagzeug begleitet, stellt dieser Song für mich eines der Highlights der Platte dar.

Textlich etwas belangloser, dafür musikalisch spektakulärer geht es weiter mit “Cruise Night”. Eine eingängige Mischung aus Indie und Rock’N’Roll erwartet den Hörer. John K. Samson greift nun endlich ein Mal deutlich spürbar zur E-Gitarre; die Platte gewinnt an Dynamik, Schwung und wird zugleich lauter. Selbiges gilt auch für den fünften Titel der Platte “When I Write My Masters Thesis”, mit dem Unterschied, dass man sich plötzlich auf den Straßen von GTA wiederfindet.

Zwischendurch sind in das Album dann dennoch immer wieder ruhigere Tracks wie “Grace General” oder “Stop Error” hinein geraten. Hin und wieder gibt es ein Paar Klavier, oder auch Saxophonklänge zu bemerken. Ähnlich wie beim Opener sind die besagten Tracks zwar ganz nett anzuhören, allerdings ohne bisher ganz große Wirkung zu hinterlassen. Der sechste Song, “Letter In Icelandic From Ninette San”, der ebenfalls in diese ruhige Sparte einzuordnen ist, gefällt dagegen durch gekonnten Violineinsatz schon nach kurzer Zeit. Dieser thematisiert eine Reihe Wegbegleiter, mit denen man während des Aufenthalts in Kanada zu tun bekommt. Das mag soweit alles etwas unspektakulär klingen, wird aber dann interessant, wenn John K. Samson das Ganze erzählt.

Mit dem Song “Longitudinal Centre” führt die Reise über die verschneite und holprige Provincial Road, begleitet von markanten Gitarrensoli, irgendwo ins Nirgendwo zwischen Pazifik und Atlantik.

Einige Zeit und ein paar Kilometer später folgt dann mein Lieblingssong der Platte, namens “Highway 1 West”. Irgendwie lassen einen Textzeilen dieses Liedes, die lauten: “To far too walk to anywhere from here” nicht mehr los. Dabei ist gleichzeitig zu merken, dass die Platte so etwas wie ein System hat. Begann sie mit dem Song “Highway 1 East”, so neigt sie sich nun mit “Highway 1 West” dem Ende entgegen, um dann mit “Taps Reversed” langsam auszuklingen. “Taps Reversed” offenbart dem Zuhörer zwar noch ein Gesangsduett mit Samsons Ehefrau, wirkt aber aber für mich gegenüber “Highway 1 West” allzu bedeutungslos.

Schlussendlich bleibt eine durchaus gelungene Platte zurück, die aber nicht an die Qualität eines Weakerthans Albums wie “Left and Leaving” herankommt. Textlich auf durchgehend hohem Niveau, ansonsten aber nicht herausragend präsentiert sich “Provincial”. So wirken vor allem die metaphorischen Inhalte der Songs, die sich oftmals auf bekannte Lebenssituationen übertragen lassen. Für meiner Geschmack zwar etwas zu sanft, ist die Platte für Fans des Indierock und Freunde des guten Songwritings dennoch zu empfehlen.

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