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Chiemsee Reggae Summer 2010: Durchwachsen war nicht nur das Wetter

5. September 2010
Der Zeltplatz am Sonntag

Tiefe Furchen ziehen sich durch den Boden. Vereinzelt sitzen Camper mitten auf dem Weg in ihren Stühlen. Der Wegrand gesäumt von Müll: Dosenravioli, Orangensaft TetraPaks und verbeulte Bierdosen. Dort wo noch grüne Flecken die matschige Spur unterbrechen, standen vor kurzem noch Zelte. Die breiten Lücken die Folge mehrerer Tage Regenwetter biblischem Ausmaßes.

Wir sind in Übersee am Chiemsee. Es ist der 29. August, der dritte Tag des diesjährigen Chiemsee Reggae Summers. Und nicht wenige haben “einfach keine Lust” mehr. Festival unter derartigen Umständen – das ist ein Kampf. Ein Kampf gegen den Schlamm, gegen sich selbst und seine Komfortansprüche. Der Konflikt  zwischen dem Wunsch Konzerte anzuschauen und der Gemütlichkeit sich dem Biergenuss hinzugeben. Nur zu oft hat wohl an diesem Festival mit der vorzeitigen Abreise das Vernufts-Ich gesiegt.

Der Veranstalter will davon nichts bemerkt haben. “Wetter durchwachsen, Stimmung ausgezeichnet”, so fasst der offizielle Abschlussbericht das Festival zusammen. Aha. Mit 29.000 Besuchern feiert Pressechef Buchholz einen neuen Besucherrekord und zieht eine durchweg positive Bilanz. Natürlich war nicht alles schlecht: Die Berichte der Polizei und Sanitäter ausgesprochen positiv, der Grüner Wohnen Campingplatz auch aus unserer Sicht ein voller Erfolg. Und die zwei kurzfristigen Absagen aus Veranstaltersicht wenig problematisch. Sizzla wurde kurzerhand durch Busy Signal ersetzt. Zugegeben, die Absage von The Wailers war sehr kurzfristig.  Doch dass “Festival-Moderatorin Marlene Johnson, selbst eine bekannte Reggae-Sängerin” die Lücke mit House of Riddim “perfekt” gefüllt haben soll, ist angesichts der 40 Jährigen Bandgeschichte der Wailers sicherlich zynisch zu verstehen. Aber immerhin blieb es so auf der Hauptbühne zu dieser Zeit nicht ganz leise.

"Sitzblockade" für Sizzla

Im Bezug auf Sizzla haben die Gäste eine andere Meinung, das Forum des Chiemsee Reggae Summers tobt und auch auf dem Zeltplatz ist manchem Besucher die Frustration am Sonntag anzusehen. “Stopp, das ist eine Sitzblockade”. So wird der Gang durch den Campingplatz unterbrochen. Die Dimensionen der “Blockade” wenig beeindruckend, die Mienen der Gesichter ohne großen Ernst. Und doch kommt kurz darauf eine klare Ansage: “Diese Scheiß-Autonomen wollen uns unser Festival kaputtmachen. Nicht mit uns. Wir bleiben hier”. Eine halbe Stunde später ist die Sitzblockade verschwunden.

Ein wenig höhnisch, dass die Festivalhopper in deren Nachbericht dann bemerken, dass die “Programmänderungen dem Reggae Festival in Übersee am Chiemsee nicht” schadeten.

Einen Tag später ist der Chiemsee Reggae Summer beendet. Die Besucher sind weg, viele Zelte stehen noch. Die Aufräumarbeiten haben angefangen. Und auch die Diskussion im Forum des Chiemsee Reggae Summers hat nun richtig begonnen: “Das schlechteste CRS der letzten jahre“, Follow me to => SUMMERJAM!! – zahlreiche Gäste bringen in Threads ihre Enttäuschung zum Ausdruck. Das ist nach Festivals aller Art nicht unbedingt ungewöhnlich, in dieser heftigen Form jedoch schon. So heftig, dass sich die Veranstalter zu einem Statement genötigt sehen. So wird in einem hippen Anglizismus “Maximum respect” an alle Besucher ausgesprochen, eine weitere Befestigung des Kerngelände und der Campingplätze angekündigt und die eigenen Investitionen der Vergangenheit gelobt: “Was gewesen wäre, wenn uns der regenreichste August seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahre 1891 alle ohne Geländebefestigung weggespült hätte, wollen wir uns lieber erst gar nicht vorstellen.” Zu guter Letzt wird dezent auf die gestartete Frühbucheraktion hingewiesen: “Wer früher kauft ist länger glücklich.”

Treue Festivalisten haben die widrigen Umstände natürlich nicht von einem matschigen Freudenfest abgehalten. So sind wir auch sicherlich nächstes Jahr wieder dabei. Es kann schließlich nicht immer so regnen.

-> Mehr Bilder vom Chiemsee Reggae Summer 2010 gibt es in unserer Galerie.

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Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.