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Die Geschichte von Rock im Park: Vom Schatten zur eigenen Identität

17. März 2025

Die Wiege einer Festivallegende

Kaum jemand weiß heute noch, dass die Wurzeln des Nürnberger Kultfestivals eigentlich in Wien liegen. 1993 wagte Konzertveranstalter Marek Lieberberg den Sprung über die Grenze und veranstaltete “Rock in Vienna” als südliches Gegenstück zum bereits erfolgreichen “Rock am Ring”. Das Experiment währte nur kurz – schon ein Jahr später zog man als “Rock in Riem” auf das Gelände des stillgelegten Münchner Flughafens um.

Die ARGO Konzerte GmbH unter Horst Lichtenberg und Lieberbergs Konzertagentur bildeten von Anfang an ein ungleiches, aber schlagkräftiges Duo. Während Lichtenbergs Mannschaft die praktische Organisation vor Ort übernahm, brachte Lieberberg seine exzellenten Kontakte in die internationale Musikszene ein. Diese Symbiose zahlte sich aus: ARGO kannte die örtlichen Gegebenheiten, kümmerte sich um Behördengänge und infrastrukturelle Herausforderungen, während die Lieberbergs mit ihrem Netzwerk die Stars anlockten.

1995 folgte dann die eigentliche Geburt des “Rock im Park” im Münchner Olympiapark – ein Name, der bis heute Bestand hat. Am 26. und 27. Mai 1995 traten Größen wie Bon Jovi, Van Halen, Bad Religion und Faith No More auf – weitgehend identisch mit dem Line-up von Rock am Ring. Rund 40.000 Besucher pilgerten zur Premiere ins Olympiastadion, deutlich weniger als beim “Ring”, aber dennoch ein respektabler Start für ein junges Festival. Die ikonische Zeltdachkonstruktion des Olympiastadions bot eine imposante Kulisse für Rockkonzerte, und das urbane Umfeld des Olympiaparks sorgte für eine ganz eigene Atmosphäre.

In München hielt man es allerdings nur zwei Jahre aus. Die Anwohner protestierten vehement, die Stadtverantwortlichen zeigten wenig Enthusiasmus für die lärmintensive Veranstaltung, und logistische Herausforderungen häuften sich. 1996 fand Rock im Park ein letztes Mal im Olympiapark statt, und parallel dazu wagte man bereits einen Testlauf auf dem Flughafengelände Riem. Diese Münchner Ausgabe mit Bands wie Die Toten Hosen, Rage Against the Machine, Herbert Grönemeyer und ZZ Top offenbarte jedoch deutliche logistische Schwächen des Standorts. Schlammige Zeltplätze, überlastete Sanitäranlagen und chaotische Verkehrssituationen zeigten, dass eine langfristige Lösung außerhalb Münchens gefunden werden musste.

Neustart auf historischem Boden

Als die Veranstalter 1997 Nürnbergs ehemaliges Reichsparteitagsgelände als neuen Standort ins Auge fassten, gingen die Meinungen weit auseinander. Manche hielten es für geschmacklos, andere für genau richtig. Rockfans auf Nazi-Beton? Das sorgte für hitzige Debatten in den Lokalzeitungen. Im Nachhinein erwies sich der mutige Schritt als Glücksgriff. Wo einst Aufmärsche stattfanden, feierten nun Menschen aller Hautfarben friedlich zu internationaler Musik – ein schönerer Kontrast zur braunen Vergangenheit war kaum denkbar.

Die Macher steckten den Kopf nicht in den Sand: Überall auf dem Gelände erinnerten Infotafeln an die düstere Geschichte des Ortes. In Zeitungsinterviews betonten die Veranstalter immer wieder, dass sie den Ort nicht trotz, sondern wegen seiner Vergangenheit gewählt hatten. Die Nazis wollten Gleichschritt, Rock im Park feierte Individualität. Diese ehrliche Herangehensweise überzeugte mit der Zeit selbst die größten Skeptiker.

Die Feuertaufe in Nürnberg erlebte Rock im Park vom 23. bis 25. Mai 1997. Auf den Bühnen rockten KISS mit ihren geschminkten Fratzen, Aerosmith mit Steven Tylers markanten Lippen, die Toten Hosen mit Campino im verschwitzten Unterhemd und die Spanier von Héroes del Silencio. Etwa 52.000 Fans – deutlich mehr als in München – pilgerten zum Nazi-Gelände, das an diesem Wochenende zum Rockparadies wurde. Wenn sich die Sonne hinter der gewaltigen Zeppelinfeld-Tribüne senkte, während auf der Bühne die Gitarren heulten, bekam man unwillkürlich Gänsehaut – allerdings aus ganz anderen Gründen als früher.

Bis heute schaffen es die Veranstalter, diesen heiklen Balanceakt zu meistern. Man vergisst nicht, wo man steht, lässt sich davon aber auch nicht lähmen. Das hat etwas geschaffen, das man woanders kaum findet: Ein Festgelände mit Geschichte, die man spürt, aber nicht fürchten muss. Wo früher stumpfe Parolen dröhnten, erklingen heute tausend verschiedene Stimmen – bunt statt braun, vielfältig statt gleichgeschaltet.

So entstand etwas ganz Besonderes: Ein Festivalgelände mit Geschichte, die man spürt, aber nicht mehr fürchten muss. Das Rock im Park schreibt seither jedes Jahr ein neues, buntes, lautes Kapitel – und übermalt damit Stück für Stück die grauen Seiten des Orts.

Die Zwillingsfestivals: Konkurrenz oder Synergie?

Die Beziehung zwischen Rock im Park und Rock am Ring ist eine Geschichte gegenseitiger Befruchtung. Als “Zwillingsfestivals” teilen sie sich weite Teile des Line-ups. Die Rockstars tingeln das ganze Wochenende zwischen Franken und der Eifel hin und her – meist per Helikopter oder in klimatisierten Nightlinern. Gestern Nürnberg, heute Nürburgring – für die Musiker praktisch, für die Veranstalter ein finanzieller Segen. Denn wer würde schon für ein einzelnes Festival nach Deutschland fliegen? Zusammen können sie aber auch teure Übersee-Acts locken. Trotz der musikalischen Zwillingsbesetzung entwickelten sich beide Festivals erstaunlich unterschiedlich – wie eineiige Zwillinge, die in verschiedenen Familien aufwachsen.

Die Logistik hinter den Kulissen ist beeindruckend: “Freitag spielst du am Ring, Samstag packst du alles zusammen, fährst nach Nürnberg und trittst Sonntag im Park auf” – so sieht der typische Festival-Fahrplan für viele Bands aus. Oder andersherum. Das ausgeklügelte System verteilt die Acts über das Wochenende auf beide Standorte. Die Crews karren tonnenweise Equipment im Pendelverkehr zwischen Eifel und Franken hin und her. Eine logistische Meisterleistung, die den Fans an beiden Orten das volle Programm garantiert. Für alle Beteiligten ist das ein Gewinn: Die Musiker sparen sich lange Anreisen, die Veranstalter teilen sich Transport- und Hotelkosten. Und zusammen lockt man Namen, die sonst kaum den Weg über den großen Teich finden würden – große Bands kommen eher, wenn sie gleich zweimal vor 70.000 Leuten spielen können.

Die Werbeabteilung spielt das geschickt aus: “Der Ring” lockt mit Lagerfeuerromantik unter Eifel-Sternenhimmel und seiner langen Tradition. Auf den Plakaten für “Den Park” sieht man dagegen Großstadtflair, kurze Wege und die imposanten Steintribünen. Die Botschaft ist klar: Naturbursche zum Ring, Stadtmenschen in den Park! Diese kluge Trennung sorgt dafür, dass sich die Zwillinge nicht gegenseitig die Besucher abjagen, sondern friedlich nebeneinander gedeihen können.

Musikalischer Wandel und künstlerische Entwicklung

Die ersten Jahre hielten strikt am klassischen Rock- und Metal-Kurs fest. Namen wie Metallica, KISS, Rage Against The Machine und Pantera dominierten die Plakate. Doch ab der Jahrtausendwende öffnete sich das Festival behutsam. Neben Gitarren-Helden bekamen auch Punk, Hip-Hop und elektronischere Klänge eine Bühne. Manche traditionellen Fans reagierten zunächst skeptisch, doch die musikalische Öffnung erwies sich als zukunftsweisend und lockte eine jüngere Generation nach Nürnberg.

Was hier passiert, ist eigentlich nur ein Spiegelbild dessen, was in der Rockmusik allgemein abgeht. Die Genregrenzen? Längst eingerissen! Wer hätte in den 90ern gedacht, dass mal Bands wie Linkin Park mit ihrem Rap-Metal, Twenty One Pilots mit ihrem Elektro-Indie-Dings oder Imagine Dragons mit ihrem radiotauglichen Pop-Rock die großen Bühnen erobern würden? Die Programmplaner balancieren dabei auf einem schmalen Grat: Zu viel Tradition, und die Jugend bleibt weg. Zu viel Innovation, und die älteren Semester mit den dicken Geldbeuteln meckern. Der ewige Spagat zwischen “früher war alles besser” und “wir müssen mit der Zeit gehen” ist das tägliche Brot der Booker. Übrigens hat sich Rock im Park trotz des gemeinsamen Line-ups musikalisch ein bisschen anders entwickelt als der große Bruder – subtil, aber spürbar.

Was im Park passiert, ist eigentlich nur ein Spiegelbild dessen, was im Radio läuft. Früher wusste man: Das ist Metal, das ist Punk, das ist Hip-Hop. Heute? Da rappt der Rocker, da singt der Rapper, da spielt der Popper Metal-Riffs. Linkin Park haben den Rap-Rock salonfähig gemacht, Twenty One Pilots mixen Ukulele mit Elektro, und Imagine Dragons verpacken Stadionhymnen in Pop-Gewand.

Der Drahtseilakt zwischen Tradition und Innovation ist ein ständiger Begleiter der Programmplaner. Witzigerweise haben sich trotz gleicher Bands kleine Unterschiede zwischen den Zwillingsfestivals entwickelt. In Nürnberg kommen die lokalen Helden und moderneren Acts oft besser an, während am Ring die Traditionalisten mehr Anklang finden. Das spiegelt sich mittlerweile auch in den Nebenbühnen wider, wo die Programmgestalter mehr Freiheit haben, lokale Farbtupfer zu setzen.

Herausforderungen: Wetter, Lärm und die Pandemie

Das fränkische Wetter entpuppte sich über die Jahre als unberechenbare Größe. Regelmäßig verwandelten plötzliche Regengüsse das Gelände in schwer passierbare Schlammflächen, Gewitterfronten erzwangen Programmunterbrechungen. Die Festival-Community entwickelte einen bemerkenswerten Umgang mit diesen Widrigkeiten – aus der Not wurde eine Tugend, und die Schlammschlachten sind mittlerweile Teil der Festival-Folklore.

2016 erreichte die Wetterproblematik einen dramatischen Höhepunkt. Blitzeinschläge verletzten mehrere Besucher, das Festival musste zeitweise unterbrochen werden. In solchen Krisensituationen zeigte sich jedoch auch der besondere Gemeinschaftsgeist: Besucher, Festival-Crew und sogar Anwohner unterstützten sich gegenseitig, teilten Regenschutz und boten Hilfe an. Die Sicherheitskonzepte wurden in den folgenden Jahren grundlegend überarbeitet, zusätzliche Schutzbereiche eingerichtet und die Kommunikation im Krisenfall optimiert.

Eine kontinuierliche Herausforderung für Rock im Park stellt die Anwohnerproblematik dar. Anders als Rock am Ring, das in einer dünn besiedelten Region stattfindet, liegt das Nürnberger Festivalgelände relativ nah an Wohngebieten. Dies führte zu wiederkehrenden Beschwerden über Lärmbelästigung, erhöhtes Verkehrsaufkommen und temporäre Beeinträchtigungen des Stadtlebens.

Die Stadt Nürnberg reagierte mit zunehmend strengeren Auflagen. Was in den Pionierzeiten noch bis zum Morgengrauen wummern durfte, muss heute pünktlich verstummen – spätestens Mitternacht, manchmal sogar um 23 Uhr fallen die Regler auf null. Die Dezibel-Grenzen schrumpften von ursprünglich satten 100 dB(A) auf mancherorts magere 80 dB(A). Überall auf dem Gelände lauern heute Messgeräte, die jeden verirrten Bass dokumentieren. Wer die Grenzen überschreitet, riskiert saftige Strafen – bis zu 50.000 Euro kann ein einziger Ausrutscher kosten. Die Techniker am Mischpult sind entsprechend nervös, wenn die Nadel in die rote Zone wandert.

Die größte Krise traf Rock im Park wie ein Schlag ins Gesicht: Corona. Als 2020 und 2021 nacheinander abgesagt werden mussten, waberte Existenzangst durch die Branche. Hinter den abgesperrten Toren wuchs das Gras über leere Bühnen. Festival-Veteranen verharrten vor ausgeblichenen Band-Shirts und verstaubten Camping-Utensilien. Millionenverluste stapelten sich wie unverkaufte Tickets.

Der Hammer fiel ausgerechnet in die Übergangsphase. Matt Schwarz’ DreamHaus hatte Ende 2019 übernommen – und durfte erst mal nichts tun außer Absagen verschicken und Erstattungen organisieren. Eine Feuertaufe der besonderen Art. Die wirtschaftlichen Schäden für die Region gingen in die Millionen. Als 2022 der Neustart gelang, war die Erleichterung förmlich mit Händen zu greifen.

Die wirtschaftliche Dimension

Die Ticketpreise erzählen ihre eigene Geschichte vom Aufstieg des Festivals. 1997 mussten die Fans gerade mal 110 D-Mark hinblättern – nicht mal 60 Euro! Seitdem kennen die Preise nur eine Richtung: steil nach oben. 2003 zahlte man schon 106,50 Euro für ein Ticket, 2006 zwischen 110 und 131 Euro. 2010 knackte man locker die 140-Euro-Marke, 2014 kratzte man an der 200er-Grenze, und 2018 landete man bei happigen 199 bis 239 Euro.

Diese Preisentwicklung hat in der Festival-Community durchaus Diskussionen ausgelöst. Kritiker argumentieren, dass die gestiegenen Kosten bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließen und den ursprünglichen Gemeinschaftscharakter gefährden. Dennoch relativieren sich die Preise im Vergleich zu Einzelkonzerten: Ein Stadionauftritt etablierter Künstler kostet heute häufig zwischen 80 und 150 Euro – für einen einzigen Abend. Bei Rock im Park erhält man für sein Geld über 70 Bands an drei Tagen plus Camping. Der Durchschnittspreis pro Band liegt bei unter 4 Euro, wenn man die volle Programmvielfalt nutzt – ein Wert, der selbst bei der aktuellen Inflation bemerkenswert erscheint.

Hinter den Kulissen macht die Inflation den Veranstaltern zu schaffen. Die Künstlergagen sind förmlich explodiert. Was in den 90ern mit 100.000 Mark abgefrühstückt wurde, kostet heute mindestens eine halbe Million Euro. Seit Streaming-Dienste den CD-Markt zerlegt haben, zapfen die Musiker den Live-Sektor besonders gründlich an. Dazu kommen immer neue Behördenauflagen: mehr Sicherheitskräfte, bessere Sanitäranlagen, ausgefeiltere Notfallkonzepte. Die Versicherungen verlangen nach jedem Unwetter höhere Prämien. Wenn irgendwo in Europa ein Festivalzelt wegfliegt, zittern in Nürnberg die Kalkulatoren.

Rock im Park ist inzwischen Nürnbergs fünfte Jahreszeit. Wenn 70.000 Menschen in die Stadt strömen, klingeln überall die Kassen. Hotelbetten sind Mangelware, die Biergärten platzen aus allen Nähten, und selbst der Taxifahrer vom Flughafen kennt den kürzesten Weg zum Zeppelinfeld. Eine Wirtschaftsstudie hat den jährlichen Umsatzeffekt auf rund 15 Millionen Euro beziffert. Hunderte Menschen finden temporäre Jobs – von der Bändchen-Kontrolle über den Bierzapf-Marathon bis zur Müllsammler-Brigade. Als Corona den Stecker zog, traf es die lokale Wirtschaft ins Mark. Die Hoteliers starrten auf leere Zimmer, die Kneipenbesitzer auf volle Bierfässer. Die Stadtkasse vermisste die Steuereinnahmen wie einen alten Freund. Das Comeback 2022 wurde deshalb nicht nur vom Publikum herbeigesehnt.

Organisatorische Umbrüche und neue Perspektiven

Der organisatorische Staffelstab wurde 2015 weitergereicht, als die Lieberbergs zum Konkurrenten Live Nation abwanderten. Die Rechte an den Festivals behielt CTS Eventim. Wer den grauhaarigen Marek mit der obligatorischen Zigarre noch über das Gelände streifen sah, vermisste ihn. Andere atmeten auf. Ende 2019 übernahm Matt Schwarz mit seiner frischgebackenen DreamHaus-Agentur das Kommando. Der Ex-Live-Nation-Manager brachte frischen Wind ins Booking und legte verstärkt Wert auf deutsche Acts. Die Website wurde entstaubt, die Social-Media-Kanäle aufpoliert, die Festival-App grundlegend überholt.

Während die oberen Etagen wechselten, blieb ARGO Konzerte aus Nürnberg das unverrückbare Fundament. Sie kennen jeden Stromkasten auf dem Gelände, jeden Behördenvertreter in der Stadt und wissen genau, wann der letzte Sonderzug nach Mitternacht abfährt. Diese Kombination aus lokaler Bodenhaftung und frischen Impulsen hat Rock im Park durch stürmische Zeiten manövriert.

Bemerkenswert ist übrigens, dass die DreamHaus-Ära unter Matt Schwarz eine gewisse Rückbesinnung auf die Rock- und Metal-Wurzeln des Festivals gebracht hat. Nachdem in den Jahren zuvor immer mehr Pop- und Hip-Hop-Acts ins Programm rutschten, wurden seit 2022 wieder vermehrt härtere Gitarrenklänge gebucht. Eine Entscheidung, die bei vielen langjährigen Fans gut ankam, ohne die jüngeren Besucher zu vergraulen.

Diese Umbrüche stehen sinnbildlich für den Wandel der gesamten Festivalszene: Aus den chaotisch-charmanten Rock-Happenings von früher wurden durchgetaktete Großveranstaltungen mit minutiösen Excel-Tabellen. Die alten Festival-Hasen trauern um die Zeiten, als der Chef noch persönlich mit der Schnapsflasche über den Campingplatz lief. Die Jüngeren freuen sich über funktionierende Toiletten und stabile WLAN-Verbindung. Die einen sehen den Ausverkauf der Rockkultur, die anderen die längst überfällige Professionalisierung.

Modernisierung und Innovation

Mit der Zeit passt sich auch Rock im Park den veränderten Gewohnheiten seiner Besucher an. Nach der Pandemie wurde beispielsweise das Cashless-Payment-System eingeführt, das die Bargeldnutzung auf dem Festivalgelände weitgehend ersetzt hat. Matt Schwarz erklärt: “Die Einführung von Cashless Payment bei unseren Festivals nach der Pandemie war ein großer Erfolg. Die Vorteile sind klar: kürzere Wartezeiten an Bars und Ständen sowie die Möglichkeit, Bargeld anonym auf den Chip zu laden, auch für diejenigen ohne Kreditkarte.”

Für das Jubiläumsjahr 2025 führt das Festival erstmals eine schnellere Einlassmöglichkeit in Form des “Fast Lane Pass” ein. Dabei handelt es sich um ein limitiertes Kontingent für Fans, die bereit sind, für garantierten Zugang zu bestimmten Bereichen vor den Bühnen einen Aufpreis zu zahlen. Von den 20.000 Personen, die in diese Bereiche passen, erhalten allerdings nur etwa 5% (1.000 Personen) diesen garantierten Zugang – für alle anderen gilt weiterhin das Prinzip “Wer zuerst kommt, mahlt zuerst”.

Schwarz verteidigt das neue Angebot: “Die massiv gestiegenen Kosten zwingen uns dazu, nach kreativen Möglichkeiten für Zusatzeinnahmen zu suchen, die möglichst fair sind. Produkte wie der Fast Lane Pass richten sich an Menschen, die bereit sind, für mehr Komfort oder Premium-Erlebnisse mehr zu zahlen, ohne die Allgemeinheit zu belasten.” Das zeige sich auch am Erfolg der Glamping-Angebote wie das “Experience Camping”, die für 2025 fast unmittelbar nach Vorverkaufsstart ausverkauft waren.

In einem Interview mit dem Mannheimer Morgen betont Schwarz den wachsenden Trend zu Premium-Angeboten: “Live-Erlebnisse haben für viele Menschen einen enormen Stellenwert. Ob Konzert oder Festival – der Wunsch nach Komfort und maßgeschneiderten Erlebnissen wächst. Das beobachten wir auch bei Rock am Ring und Rock im Park: Unsere Premium-Tickets sind extrem gefragt und für 2025 längst ausverkauft.”

Auch in Sachen Umwelt und Vielfalt mischen die Festivalmacher mittlerweile kräftig mit. Matt Schwarz wird ernst, wenn er darauf angesprochen wird: “Das sind keine PR-Gags für uns, sondern echte Herzensthemen.” Statt Generatoren, die Tag und Nacht Diesel fressen, setzt man zunehmend auf alternative Energien. Die Shuttlebusse fahren häufiger, damit weniger Autos unterwegs sind. An den Ständen findet man mehr vegetarische Optionen, und das Plastikgeschirr wurde verbannt. Der Weg zur Nachhaltigkeit ist noch weit, aber die ersten Schritte sind gemacht.

Die Festivalbesucher von heute ticken anders als früher. Manche buchen erst kurz vorm Festival, wenn die Wettervorhersage gut ist. Und statt im Zelt schlafen viele lieber im Hotel oder mieten gleich ein Luxus-Glamping-Zelt mit richtigen Betten. Doch was nach Herausforderung klingt, bringt auch Chancen mit sich. Während wir täglich mehr Zeit vor Handys und Laptops verbringen, wächst die Sehnsucht nach echten Erlebnissen. Wenn tausende gemeinsam singen und tanzen, entsteht eine Gänsehaut, die kein Bildschirm ersetzen kann.

“Beim Rock im Park rollst du quasi aus dem Hotelbett direkt vor die Bühne”, sagt Matt Schwarz. “In 15 Minuten bist du vom Hauptbahnhof mitten im Getümmel, nach dem Auftritt deiner Lieblingsband kannst du im Freibad nebenan abkühlen, und wenn’s regnet, gibt’s genug Unterschlupfmöglichkeiten.” Genau diese städtischen Annehmlichkeiten machen den “Park” zum Gegenpol des “Rings”. Während in der Eifel die Fans oft kilometerweit durch Matsch stapfen, schlürfen in Nürnberg manche ihren Morgenkaffee noch im Hotelgarten, bevor sie gemütlich zum Festival schlendern.

Ausblick: Das Jubiläumsjahr 2025 und die Zukunft

2025 wird ein besonderes Jahr: 30 “Park”-Geburtstag trifft auf 40 Jahre “Ring” – zwei Festivals mit gemeinsamen Wurzeln und verschiedenen Zweigen. Die Jubiläumsausgabe vom 6. bis 8. Juni wirft bereits ihre Schatten voraus.

Freitags werden Bullet For My Valentine ihre Metalcore-Hymnen durch Nürnberg jagen, Heaven Shall Burn politischen Hardcore servieren und In Flames nordische Melodien mitbringen. SDP bieten leichtere Kost für die Hip-Hop-Fraktion, während Spiritbox frischen Wind in die Metal-Szene pusten.

Samstags übernehmen die Beatsteaks das Berliner Kommando, Idles bringen britische Wutwellen mit, und Powerwolf zelebrieren ihren Metal-Gottesdienst. Lorna Shore lassen die Deathcore-Fraktion kopfnicken.

Sonntags runden A Day to Remember mit ihrem Mix aus Pop-Punk und Metalcore das Line-up ab, Biffy Clyro liefern schottische Indie-Hymnen, Feine Sahne Fischfilet bringen politischen Punk aus dem Osten, und Weezer beschließen mit ihren Nerd-Rock-Klassikern das Wochenende.

Dazwischen tummeln sich Bands wie die ukrainischen Jinjer mit ihrer außergewöhnlichen Sängerin Tatiana, Folk-Punk-Troubadour Frank Turner und – zur Enttäuschung vieler – nur ein DJ-Set anstelle eines vollwertigen Auftritts von Electric Callboy. Insgesamt versammeln sich über 70 Bands an drei Tagen – genug Musik, um selbst den hungrigsten Fan zu sättigen.

Zum Jubiläum packen die Macher noch eine Schippe drauf: 2025 wird’s erstmals vier statt drei Bühnen geben. ÜBr die Atmos Bühne bei Rock im Park ist bis dato wenig bekannt. Mehr Platz für Bands und weniger Gedränge verspricht man sich – win-win für alle. Hinter den Kulissen munkelt man außerdem über die Namen für die geheime Überraschungsauftritte, die im Programm stehen. Bei anderen Festivals haben solche Secret Shows längst Kultstatus. Wird in Nürnberg plötzlich eine längst aufgelöste Kultband auf der Bühne stehen? Oder ein Superstar einen spontanen Abstecher machen? Matt schwarz liess verlauten, am Ring würden 2 Bands eröffnen, die sonst viel spätere Slots bekleiden würden. Diese werden bei Rock im Park am Sonntag erwartet – dann natürlich kein Geheimnis mehr. Bleibt nur die Frage: Sind es die gleichen Namen?

Rock im Park muss sich künftig mit einigen Herausforderungen herumschlagen: Die Kosten explodieren, die Musikgeschmäcker ändern sich schneller als früher, Umweltthemen drücken, und die Digitalisierung mischt alles neu auf. Dazu kommt, dass gefühlt alle drei Wochen ein neues Festival aus dem Boden sprießt und um die knappen Geldbeutel der Musikfans buhlt.

Aber es gibt auch Gründe zum Optimismus: Je mehr Zeit wir in virtuellen Welten verbringen, desto wertvoller wird echtes Erleben. Sich in den Arm nehmen, gemeinsam grölen, zusammen im Regen ausharren – all das kann kein VR-Headset ersetzen. Und gerade die neuen technischen Möglichkeiten eröffnen spannende Wege, das Festival noch intensiver zu erleben.

Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, hat Rock im Park schon einiges überstanden: von den wackeligen Anfängen in Wien über die Probleme in München bis zur Neuerfindung in Nürnberg. Immer wenn es eng wurde, haben die Verantwortlichen einen Weg gefunden, ohne dabei die DNA des Festivals zu verraten.

Fazit: Von der Kopie zur eigenständigen Institution

Was macht Rock im Park so erfolgreich? Der Mix aus Tradition und Wandel. Die harten Gitarren-Riffs bilden nach wie vor das Rückgrat, aber heute darf daneben auch mal ein Hip-Hop-Beat wummern oder ein elektronischer Bass dröhnen. Trotz aller Professionalisierung hat sich der ursprüngliche Gemeinschaftsgeist erhalten. Menschen helfen einander durch Schlamm und Hitze, teilen Essen und Getränke, schließen Freundschaften fürs Leben.

Die nackten Zahlen sprechen Bände: 70.000 Festival-Fans bringen jährlich rund 15 Millionen Euro in die Nürnberger Region. Hotels sind ausgebucht, Gaststätten überfüllt. Der Run auf die Tickets fürs Jubiläumsjahr 2025 war überwältigend – 60.000 Tickets waren bereits im Dezember 2024 verkauft, lange bevor das vollständige Line-up bekannt war.

Die vielleicht beeindruckendste Transformation betrifft den Ort selbst. Das ehemalige Reichsparteitagsgelände wurde von einem Symbol der Unterdrückung zu einem Raum der Freiheit und Vielfalt. Wo einst Uniformierung herrschte, feiert man heute Individualität in all ihren Facetten. Mit jedem Konzert wird Geschichte nicht ausgelöscht, sondern umgedeutet und in einen neuen Kontext gestellt.

30 Jahre nach dem Start steht der “Park” nicht mehr im Schatten des “Rings”. Beide Festivals begegnen sich auf Augenhöhe, jedes mit seinen eigenen Fans und seinem eigenen Flair. Wenn 2025 der große Geburtstag gefeiert wird, geht es nicht nur um nostalgische Rückblicke auf die wilden frühen Jahre. Es geht vor allem um das, was noch kommen wird – neue Musikrichtungen, neue Generationen von Fans und neue Festivalerlebnisse, die heute noch niemand vorhersehen kann.

Quellen

[1] Interview mit Matt Schwarz, “Rock am Ring & Rock im Park: Exklusives Interview mit Matt Schwarz über Rekordvorverkauf, Festival-Booking, Veränderungen für 2025 und Linkin Park”, MoreCore, 02.12.2024.

[2] Interview mit Matt Schwarz, “Veranstalter von Rock am Ring: ‘Die Zukunft

Thomas Peter

ein diplomierter Biologe mit starkem Hang zu Fotokamera und der besonderen Festivalatmosphäre.