Ein Kopfschmerz-Headliner und die Kunst des kulturpolitischen Krisenmanagements
Die Ästhetik des Widerspruchs bekommt diesen Sommer beim Deichbrand Festival eine ganz neue Dimension. Während sich die meisten Festivaldebatten um zu lautes Bassdröhnen oder zu teures Dosenbier drehen, steht in Cuxhaven die etwas gewichtigere Frage im (Schein)Werferlicht: Wie viel Antisemitismus passt auf eine Festivalbühne? Während 60.000 Besucher ab dem 17. Juli ihre Zelte aufschlagen, verhandeln Veranstalter und Kritiker einen kulturpolitischen Drahtseilakt der besonderen Art.
Die Festival-Karriere: Vom FKP-Protegé zum politischen Problemfall
Die Beziehung zwischen Macklemore und der deutschen Festival-Landschaft ist eine Geschichte voller Ironie. Es war ausgerechnet der Festival-Gigant FKP Scorpio, der den Rapper aus Seattle in Deutschland groß machte. Bei den Zwillingsfestivals Hurricane und Southside – beide von FKP Scorpio veranstaltet – erhielt Macklemore & Ryan Lewis bereits 2013 prominente Slots, die ihren Durchbruch auf dem deutschen Markt zementierten. Ein klassisches Star-Making aus dem Lehrbuch der Festival-Promotion.
Für die 2014er Ausgabe der Zwillingsfestivals wurden sie dann, nach nur einem Album und einer EP im Gepäck, direkt in die oberste Liga katapultiert. Die Veranstalter FKP Scorpio setzten Macklemore & Ryan Lewis plötzlich neben etablierte Giganten wie Arcade Fire, Volbeat und Seeed in die Headliner-Riege – ein kometenhafter Aufstieg, der in der deutschen Festival-Geschichte seinesgleichen sucht. Vergleichbar vielleicht mit Maneskin in Neuzeit.
“Beim diesjährigen Hurricane/Southside Festival gehörten Macklemore & Ryan Lewis zu den absoluten Highlights. Logische Schlussfolgerung für die Veranstalter: Das HipHop-Duo aus Seattle sollte auch bei der Ausgabe 2014 unbedingt dabei sein”, verkündete der Veranstalter damals vollmundig. Keine Rede mehr von einem Nachmittags-Slot – stattdessen bekamen die Amerikaner einen Premium-Platz im Line-up. Sie durften beim Southside nach dem eigentlichen Blue Stage Headliner Casper um 0:30 Uhr samstags für 90 Minuten ran. Quasi in der Rolle eines Late Night Acts.
Der Veranstalter setzte damals auf Macklemores Image als progressiver Künstler, der sich in Songs wie “Same Love” für LGBT-Rechte einsetzte. Den politischen Aktivismus des Rappers fand man damals lobenswert – heute, nur gut ein Jahrzehnt später, ist er für dieselben Veranstalter zum PR-Albtraum mutiert. Die einstige Win-Win-Situation zwischen Festival und Künstler ist einem unangenehmen Spagat gewichen.
Mit der Veröffentlichung seines kontroversen Songs “Hind’s Hall” am 11. Mai 2024 – der übrigens in den US-Charts signifikante Erfolge verzeichnet – wendete sich das Blatt endgültig. Beim Highfield Festival 2024 – ebenfalls unter dem Dach von FKP Scorpio – zeigte sich diese Spannung bereits, als Macklemore seinen Headliner-Slot nutzte, um seine pro-palästinensische Haltung zu unterstreichen. Der sonst so medienaffine Konzertveranstalter betonte im Nachgang mit auffällig generischen Worten, dass das Festival “friedlich für Vielfalt und Zusammenhalt durch Musik” eingestanden habe – ohne auf die konkreten politischen Botschaften des Headliners einzugehen.
Das Pikante an der Situation: Die deutschen Festivals, die nun mit Macklemores Kontroversen kämpfen, haben selbst dazu beigetragen, ihm jene massive Plattform zu bieten, die er jetzt für seine polarisierenden politischen Statements nutzt. Der Party-Rapper, den man als harmlosen Hitlieferanten ins Line-up holte, verwandelte sich unter dem Radar zum aktivistischen Scharfmacher – und die Veranstalter stehen nun vor dem Dilemma, entweder einen Star zu canceln, den sie selbst aufgebaut haben, oder die Kritik der jüdischen Gemeinden hinzunehmen.
Die Vorwürfe: Mehr als nur ein “Thrift Shop”-Drama
Konkret geht es um Songtexte und Videos, in denen Macklemore laut Kritikern “antisemitische Propaganda” verbreitet. Ein Beispiel: In seinem Video zu “Fcked Up” wird eine Parallele zwischen einem historischen Bild eines Jungen aus dem Warschauer Ghetto und dem eines palästinensischen Jungen im Westjordanland gezogen. Der Soziologe Lukas Geck findet klare Worte: “Die Holocaust-relativierenden Aussagen des Festival-Headliners sind klar antisemitisch” und drei seiner Songs – “Hind’s Hall”, “Hind’s Hall 2” und “Fcked Up” – “sind eindeutig israelfeindlich und wirken verharmlosend gegenüber Terror.”
Während man bei vielen Künstlern zwischen Performance und privater Person trennen kann, verschwimmen diese Grenzen bei Macklemore zunehmend. Der Rapper, der mit bürgerlichem Namen Benjamin Haggerty heißt, veröffentlichte am 11. Mai 2024 seinen kontroversen Song “Hind’s Hall”, in dem er Israel Apartheid vorwirft, und nahm an pro-palästinensischen Demonstrationen in Washington teil. Das ist mehr als nur ein problematischer Tweet – es ist eine durchgängige politische Positionierung.
Der Zentralrat der Juden geht in seiner Kritik noch weiter: In Macklemores Songtexten und Auftritten verbreite er antisemitische Propaganda und verharmlose die Schoah, während er sich gleichzeitig als moralische Instanz inszeniere und als solche “von einem breiten Publikum unkritisch gefeiert werde”. Ein klassischer Fall von problematischem Starprofil: Millionen Streams, fragwürdige Messages.
Der doppelte Maßstab: Kneecap raus, Macklemore drin?
Während die Deichbrand-Veranstalter an Macklemore festhalten, zeigte sich FKP Scorpio bei seinen Zwillingsfestivals Hurricane und Southside Ende April 2025 deutlich konsequenter: Die nordirische Hip-Hop-Band Kneecap wurde nach einem umstrittenen Auftritt beim Coachella-Festival kurzerhand ausgeladen.
Der Grund: Auf der Bühne in Kalifornien hatten die Rapper am 18. April mit Sprüchen wie „Fuck Israel, free Palestine” und „Israel begeht einen Völkermord am palästinensischen Volk” in Leuchtbuchstaben für Empörung gesorgt. Auch brachten sie das Publikum dazu, „Free, free Palestine” zu rufen. Musikmanagerin Sharon Osbourne forderte gar, den Iren die Arbeitsvisa für die USA zu entziehen.
FKP Scorpio reagierte umgehend und ungewöhnlich entschieden: „Die Band Kneecap wird in diesem Jahr nicht auf dem Hurricane und dem Southside Festival auftreten“. Das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft begrüßte die Ausladung mit dem Statement: „Wer Terrororganisationen wie die Hisbollah oder die Hamas unterstützt oder verherrlicht, darf auf Konzertbühnen keinen Platz haben.”
Kneecap selbst reagierten prompt auf die Ausladung und stellten per Instagram klar: Wir unterstützen Hamas und Hisbollah nicht – und haben das auch nie getan. Wir verurteilen alle Attacken gegen Zivilisten. Es ist niemals okay. Wir wissen das ganz genau mit Blick auf die Geschichte unseres Landes (Irland). Alles also nur eine Schmierenkampagne, wie die Band proklamiert?
Die schnelle Reaktion bei Kneecap wirft unweigerlich die Frage nach dem unterschiedlichen Umgang mit Macklemore auf: Warum wird der eine Künstler sofort ausgeladen, während der andere trotz ähnlicher Kritik weiterhin als Headliner geführt wird? Ist es die Größe des Acts, die den Unterschied macht? Oder spielt die Tatsache eine Rolle, dass das Deichbrand von der ESK Events & Promotion GmbH veranstaltet wird – zwar eine Tochter von FKP Scorpio, aber mit eigenem Management?
Kneecap selbst blieb bei ihrer Position und entgegnete der Kritik gegenüber der BBC trocken: „Statements sind nicht aggressiv, anders als der Mord an 20.000 Kindern.” Eine Argumentation, die sich nicht wesentlich von der Macklemores unterscheidet. Der doppelte Standard im Umgang mit kontroversen politischen Äußerungen lässt tief blicken in das Spannungsfeld zwischen kommerziellen Interessen, politischer Verantwortung und künstlerischer Freiheit, in dem sich Festivalveranstalter 2025 bewegen.
Pantera vs. Macklemore: Zweierlei Maß bei politischen Kontroversen?
Der unterschiedliche Umgang mit Macklemore erinnert an einen ähnlichen Festivalskandal aus dem Jahr 2023: Damals wurden die Metal-Veteranen Pantera nach intensiven Debatten von Rock im Park und Rock am Ring – beide ebenfalls im FKP Scorpio-Portfolio – wieder ausgeladen. Der Grund: Sänger Phil Anselmo hatte 2016 bei einem Konzert den Hitlergruß gezeigt und “White Power” gerufen.
Bei Anselmo hatte man zunächst auf dessen Reue und Besserung gesetzt. Der Veranstalter erklärte damals: “In mehreren Gesprächen wurde uns glaubwürdig versichert, dass Phil Anselmos Verhalten von 2016 in keinem Fall die Ansichten der Band widerspiegelt und er sein Auftreten aufrichtig und tief bereut.” Nach anhaltenden Protesten von Fans, Politikern und anderen Künstlern kam es jedoch zur Kehrtwende und Ausladung.
Was bei Pantera zum Festival-Bann führte, scheint bei Macklemore jedoch keinen Ausschlussgrund darzustellen – obwohl auch ihm vorgeworfen wird, Holocaust-relativierende und antisemitische Inhalte zu verbreiten. Kritiker stellen einen direkten Zusammenhang her: Beide Fälle betreffen die Instrumentalisierung und Verharmlosung des Holocaust, in Anselmos Fall durch rechtsextremes Gedankengut, bei Macklemore durch die suggerierte Gleichsetzung mit der Situation in Gaza.
Diese Diskrepanz wirft Fragen auf: Welche Rolle spielen wirtschaftliche Interessen bei solchen Entscheidungen? Macht es einen Unterschied, ob die problematischen Aussagen von einem Heavy Metal-Sänger oder einem Mainstream-Rapper kommen? Und wieso werden rechte Parolen härter sanktioniert als vermeintlich “linke” Positionen, die ebenso kritisch gesehen werden können? Diese Ungleichbehandlung offenbart letztlich die wirtschaftlichen und imagepolierenden Faktoren, die hinter dem Wertediskurs der Festivalbranche stehen.
Festival-Awareness auf Hochtouren
Die Festival-Leitung entfaltet laut Antisemitismus-Beauftragtem des Landes Niedersachsen, Prof. Dr. Gerhard Wegner, immerhin “bemerkenswerte Anstrengungen”, um Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung zu unterbinden. “Das gilt es ganz klar zu betonen!”, wie der Landesbeauftragte nach dem Treffen in Hamburg mitteilte. Zu den Maßnahmen gehören:
- Eine eindeutige Erklärung gegen Antisemitismus zu Beginn des Festivals
- “Die Vorlage eines ähnlichen Textes zum Vortrag für den Rapper während seiner Performance” (ob Macklemore diesen tatsächlich vortragen wird, bleibt das spannendste Fragezeichen des Abends)
- Schulungen für Festival-Mitarbeitende zum Erkennen und Bekämpfen von Antisemitismus
- Eine unabhängige Diskussionsveranstaltung in Cuxhaven zusätzlich zum Festival
- Ein möglicher Beitritt des Festivals zur Kampagne “Niedersachsen gegen Antisemitismus”
Der Kreativität des Festival-Krisenmanagements sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Statt den umstrittenen Act einfach auszuladen, wird ein ganzes politisches Rahmenprogramm aus dem Boden gestampft – quasi ein Meta-Festival der kulturpolitischen Sensibilisierung.
Festivaldilemma 2025: Das Kreuz mit dem kommerziellen Gewissen
Der Fall Macklemore beim Deichbrand 2025 ist symptomatisch für das Festival-Dilemma unserer Zeit: Ab wann wiegen moralische Bedenken schwerer als kommerzielle und künstlerische Interessen? Die scheinbar einfache Frage “Kann die Kunst vom Künstler getrennt werden?” hat längst ihre Unschuld verloren. In Wahrheit geht es um knallharte Business-Entscheidungen.
FKP Scorpio – der Veranstaltungs-Gigant, der nicht nur ein beeindruckendes Festival-Portfolio mit Hurricane, Southside und Highfield besitzt, sondern auch als Co-Promoter für Rock am Ring und Rock im Park fungiert – ist durch seine Tochtergesellschaft ESK Events & Promotion GmbH als Veranstalter des Deichbrand Festivals mit einem klassischen Damned-if-you-do-damned-if-you-don’t-Szenario konfrontiert: Einen Headliner ausladen bedeutet finanzielle Einbußen, Ärger mit den Fans, rechtliche Risiken und natürlich auch den Streß ihn kurzfristig möglichst gleichwertig zu ersetzen. Ihn auftreten lassen bedeutet, die Kritik jüdischer Organisationen in Kauf zu nehmen und sich potenziell dem Vorwurf auszusetzen, antisemitischen Inhalten eine Bühne zu bieten.
Die Festival-Veranstalter haben sich für den vermeintlichen Mittelweg entschieden: Den Headliner behalten, aber mit einem umfangreichen Beobachtungs- und Sensibilisierungsprogramm flankieren. Diese Einigung, die keine ist, hat etwas von kulturpolitischer Quantenphysik: Der Macklemore-Auftritt existiert gleichzeitig als problematisch und nicht-problematisch – je nachdem, welcher Seite man zuhört. Während der Antisemitismus-Beauftragte Wegner den Rapper nach wie vor als “unerträglichen antisemitischen und antiisraelischen Propagandisten” bezeichnet, hängt sein Gesicht weiterhin prominent auf den Festival-Werbeflächen.
Der vorhersehbare Ausweg – den Künstler mit einer “Erklärung gegen Antisemitismus” zu zwingen, sich selbst zu dementieren – ist ein faszinierendes Experiment in performativem Aktivismus. Die vorformulierten Statements, die Macklemore vortragen soll, erinnern an erzwungene Entschuldigungen auf dem Schulhof. Ob ein Künstler, der in seinen Songs Israel einen “Genozid” vorwirft, plötzlich auf der Bühne seine Position um 180 Grad dreht, nur weil ein Veranstalter es so will? Realistisch betrachtet: eher nicht.
Für die Festival-Besucher bleibt die Frage: Sind die 199 Euro für ein Wochenende zwischen politischer Kontroverse, Anti-Antisemitismus-Schulungen und Macklemores “Can’t Hold Us” gut angelegt? Oder wollten sie eigentlich nur ein paar unbeschwerte Tage mit Musik, Bier und Campen verbringen? Die Illusion des unpolitischen Festivals ist jedenfalls endgültig geplatzt.
Für den Headliner selbst dürfte die Debatte ein willkommener PR-Boost sein. Die Metamorphose vom Party-Rapper zum politischen Aktivisten hat seine Karriere vor dem Versinken in der Belanglosigkeit bewahrt und ihm auf Social Media zahlreiche neue Follower beschert. Nichts verkauft sich in der Musikbranche bekanntlich besser als Kontroverse.
Ein Schlusswort zur Ausgewogenheit: Der fehlende Kontext
Bei aller Debatte um künstlerische Freiheit und Antisemitismusvorwürfe wird ein zentraler Aspekt oft übersehen: Die auffällige Einseitigkeit in Macklemores Darstellung des Nahost-Konflikts.
Während er in “Hind’s Hall” und anderen Songs eindringlich das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung thematisiert – was für sich genommen absolut legitim ist – fehlt ein entscheidender Kontext: Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, bei dem über 350 Festivalgänger des Nova Music Festivals brutal ermordet, gefoltert und entführt wurden.
Es ist diese selektive Auslassung, die für viele Kritiker den Unterschied zwischen berechtigter politischer Kritik und problematischer Propaganda ausmacht. Während Kritik an der israelischen Regierung und ihrem Vorgehen im Gaza-Streifen durchaus berechtigt sein kann, wird sie fragwürdig, wenn sie den komplexen historischen Kontext – einschließlich der gegen israelische Zivilisten gerichteten Terrorakte – ausblendet.
Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, diese Komplexität anzuerkennen, scheint umso bedenklicher bei einem Künstler, der gerade in Deutschland – mit seiner besonderen historischen Verantwortung – auf prominenten Festivalbühnen steht. In diesem Punkt gleicht Macklemores verschleiernde Rhetorik ironischerweise der anderer politischer Extrempositionen, die ebenfalls durch selektive Darstellung der Realität ihre Weltsicht zu legitimieren versuchen.
Die Festival-Besucher werden für sich selbst entscheiden müssen, ob sie eine solche Einseitigkeit beim Biertrinken und Feiern ausblenden können und wollen.