Ein Hauch von Peter Fox weht durch den Campingplatz. Zwei Stadtaffen laufen am heimischen Zelt vorbei, kriegen einen Schnaps spendiert und verschwinden wenig später im tiefroten Licht des Sonnenuntergangs.
Einmalige Szenen, die es eben nur an Festivals gibt. Es ist Donnerstag Abend, das eigene Camp steht und es kann losgehen: Sonnenrot 2010. Die Wetterprognose verspricht reichlich Sonne und noch sieht es danach aus, als könnte es das wärmste Festival aller Zeiten werden. So werden in Vorfreude auf das kommende Programm die Zelte aufgebaut. Reichlich Platz ist vorhanden – erst morgen beginnt das musikalische Programm und die Meisten reisen nicht schon vorher an.
Während die Einen noch in der einsetzenden Dunkelheit unter grell gelbem Licht der Scheinwerfer ihre Stangen durch die Haut des Zeltes ziehen und Heringe in den staubig steinigen Boden rammen, haben die Anderen längst mit dem Feiern begonnen. Die milden Temperaturen verleiten zu ausgedehnten Spaziergängen durch die Zeltstadt, die sich jedoch schnell als übersichtlich erweist.
Überhaupt: Die Dimension des Sonnenrots führt zu einer Atmosphäre, die mit den Großveranstaltungen à la Rock im Park nicht zu vergleichen ist. Da geht man mal eben in Reihe eins vor – ohne Wavebreaker, ohne Gebatzel. Am Boden sitzen die Leute auf Zeitungspapier, lauschen entspannt der Musik auf der Bühne. 10.000 sollen es insgesamt sein, sagt das Programmheft. Um die 6.000 sollten es dann wirklich werden.
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Mittlerweile finden wir uns im Rauch des Grills einer kleinen Gruppe wieder. Wo sie her sind? Berlin, Leipzig, Dresden. Wie sie ans Sonnenrot kommen? „Wir waren halt in der Gegend“. Aha. Welche Bands sie denn sehen möchten? „Egal, Hauptsache Spaß haben“. Ein gutes Motto für den ersten Abend, muss man doch da bei all der gesellschaftlichen Unterhaltung nicht auf Wunschbands verzichten. Etwas benebelt endet derselbe dann kurz vor der Morgendämmerung – verkatert reisst einen die brütende Hitze kurz darauf aus den aufgeheizten Zelten.
Es ist bereits Tag 2 auf dem Sonnenrot Festival; heute kommen unter anderem Anajo, Donots und Jan Delay. Doch die Hitze zerrt viele Besucher zunächst an den Echinger See, der etwas Abkühlung verspricht. Dazu gibt’s gratis Coca Cola Dosen in beliebiger Anzahl. (Danke, Imageabteilung!) Stündlich aktualisiert die örtliche Wasserwacht die derzeitige Temperatur auf einer Tafel; 36 Grad Maximum. „Und es wird noch heißer“, rufen – dazu passend – Fans von 2raumwohnung. Mit der untergehenden Sonne werden die trägen Gemüter aufgerüttelt und der Campingplatz erwacht langsam aus der Hitze-Starre.
Davor hatten bereits acht Bands ihre Hits zum Besten gegeben. Da wären Get Well Soon mit einem fantastischen Auftritt oder auch Anajo, die spätestens bei “Monika Tanzband” die Besucher zum Toben brachten. Und doch litt die Stimmung ein klein wenig unter der drückenden Hitze – die richtige Kondition fürs Tanzen bei tropischen Temperaturen ist nunmal ein Privileg Weniger.
Schließlich kommt es zu einem ersten Wetterumschwung. Jan Delay – das Hamburger Original – betritt mit weißer Hose und pinken Hemd die Bühne. Kaum hat er fünf Minuten gespielt prasselt Starkregen auf die Besucher nieder. „Scheiß auf den Regen“, brüllt Jan ins Publikum, die meisten Fans bleiben – Blitze zucken am Himmel und bereichern die Lichtshow, Donner wird zum Ersatzbass.
Unwetterwarnung – das dürfte manchem Festivalisten unangenehme Erinnerungen vom letzten Jahr hervorrufen, wo das gesamte Gelände evakuiert werden musste. Das bleibt den Besuchern dieses Jahr erspart und doch lässt ein kräftiger Wind manche Pavillions davonfegen.
Wenigstens ist es jetzt kühl. Die Nacht endet mit einem unruhigen Schlaf im Zelt, die große Unwetterkatastrophe bleibt jedoch aus. Ein neuer Tag bricht an und begrüßt die verschlafenen Festivalisten mit einem leicht bewölkten Himmel und geschätzten 25°. Perfektes Festivalwetter, prima! So lassen sich Konzerte gleich mehr genießen.
Eine chronologische Auflistung: Um 13:05 beginnt das persönliche musikalische Programm mit Ja, Panik. Solider Stimmungsgarant mit deutschen Texten.
Dann Friska Viljor. Im Vorbericht war keine treffende Beschreibung zu finden. Eine Festivalbesucherin hat sie: „Sie sind der große Bruder von Port ‘O Brien“. Nicht zu Unrecht fällt dieser Vergleich – voller Herzschmerz und Melancholie die Lieder – hingebungsvoll präsentiert mit ungewöhnlichen Instrumenten und viel Emotion. „Welcome zu Germany!“, hallt es aus Reihe eins vor Beginn des Konzertes auf die Bühne. „Oh, nice, good to see you too“, entgegnet der langhaarige Schwede prompt. Mach das mal einer bei anderen Festivals nach. [nggallery id=32]
Auch WhoMadeWho wissen kurz darauf zu überzeugen, beenden ihre Show jedoch mit einem etwas gewöhnungsbedürftigen und undefinierbaren Elektrokram und nackten Oberkörpern.
Im Bezug auf The Sounds sehe ich mich in meinem Vorbericht bestätigt. An dieser Stelle lassen wir die Bilder sprechen – sind wohl ein paar mehr geworden.
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Während Maja noch fröhlich ein paar Songs trällert, begeben wir uns zurück zum Basiscamp. Es hat zugezogen, erste Tropfen Regen fallen. Unter dem Pavillion schließlich ein monotones Geprassel auf das Dach, das wir schon an manch anderen Festivals kennengelernt haben. Jan’s „Scheiß auf den Regen“ von Gestern zu Herzen genommen, Poncho drübergezogen und ab zu Bonaparte.
Ein Spektakel war ja schon im Vorbericht angekündigt geworden. Jenes zog im Vergleich zu anderen Konzerten gewaltig viele Besucher an. So stehen tausende Menschen vor der Bühne und sehen eine skurrile Show, die keinen Vergleich kennt. Vom Travestie-Künstler im Dirndl bis zum Roboter sprang alles Mögliche auf der Bühne herum – zum Ende hin immer freizügiger werdend.
So begeben wir uns langsam und noch etwas verwirrt zur 50 Meter entfernten East Stage, wo gleich Tocotronic auftreten sollen. Als „Größte Dichter nach Goethe und Schiller“ werden sie angekündigt. Das Konzert selbst verpasse ich großteils, nachdem eimerweise Nasses vom Bühnendach auf mich und meine Kamera gekippt worden war. Eine geradezu brilliante Idee eine ausgelassene Plastiksonne, die durch den Dauerregen zum Wasserspeicher geworden war, wieder aufzupumpen, während Fotografen mit ihrer nicht ganz billigen Ausrüstung im Fotograben stehen. – Das Wasser sollte wenige Stunden später nochmals zum Problem werden. Die nun folgenden Bilder sind also die letzten vom Sonnenrot 2010, viel Reis und trockene Lagerung haben meiner Kamera schließlich das Überleben gesichert.
So fällt für uns auch the Notwist aus – ihre Performance hören wir vom Inneren des mitgebrachten Busses auf dem WoMo-Campingplatz, begleitet von strömenden Regen.
Unter großer Überwindung gehen wir dann aber letztlich doch noch mal ins Freie. Maximo Park und Adam Green warten. Nur wenige konnten sich wohl überwinden, das Publikum vor der East Stage gibt ein trauriges Bild ab. Gerade 10 Reihen stehen vor der Bühne und erleben eine einmalig schöne Show, die nach geraumer Zeit unterbrochen wird. Bedrohlich viel Wasser hat sich an der herabgelassenen Sonne angesammelt. Ein Feuerwehrwagen wird ins Gelände gelotst und zersticht die Plastikplane, um Schlimmeres zu verhindern. Sänger Paul Smith nimmt es mit Humor und spielt nach der Unterbrechung voller Elan und Freude die letzten Lieder.
So fehlt auf dem diesjährigen Sonnenrot Festival nur noch ein letztes Late Night Special. Adam Green betritt die Bühne und hampelt undefinierbar auf ihr rum und klingt wie ein schlecht gelaunter Homer Simpson auf Drogen. Zahlreiche Ausflüge ins Publikum unterstreichen den Eindruck von einer völligen Geistesabwesenheit. Sein letztes Lied „Jessica“ unterbricht er, wankt zum Publikum und beginnt ein etwas dubioses Gesangssolo, beendet es Minuten später mit „I like Drugs“. Man sieht sogar den anderen Bandmitgliedern ein wenig die Verzweiflung an, gekünstelt grinsen sie, schauen sich an und beginnen zu Tuscheln. Adam nimmt noch einen letzten Schluck Bier, verschwindet von der Bühne und die Mitglieder der Bands bringen noch eine musikalische Einlage, um dem Konzert ein versöhnliches Ende zu geben.
Ein letztes Mal zurück zu den Zelten; den Abend ausklingen lassen. Das eine Zelt ist nass, inklusive Schlafsack – dann eben gemeinsam ins andere. Irgendwann endet auch dieser Abend, man wacht auf, lässt ein extremes Festival an seinen müden Augen vorbeiziehen und kommt nach einiger Überlegung zum schon gehörten Fazit: „Hauptsache Spaß haben“.