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“Hurricane, alter Freund…” – Die Höhepunkte eines Wochenendes in Norddeutschland

30. Juni 2012

Hurricane, alter Freund. Da hast Du dich im Vorfeld ja wieder richtig schick gemacht. Ein Line-Up, welches Bela B von Die Ärzte in ihrer absolut überzeugenden Show als bestes Billing bezeichnete in dem er je spielen durfte. Nein, Geld bekommt er für diese Aussage genauso wenig wie ich für diesen Artikel, trotzdem sehe ich das ähnlich. Gut, gespielt hab ich nicht auf dem Hurricane, doch ich war Besucher. Und das absolut gerne.

Die größte WG Deutschlands, zumindest an diesem Wochenende, mit 72.000 Mitbewohnern. Eine ausverkaufte WG. Und mitten im Schlafzimmer, dem Campingplatz also, statteten uns die alten Haubitzen von Madsen bereits am Donnerstag einen unangekündigten Besuch ab. Was mit ca. 100 Besuchern begann endete vor einer tobenden Masse von tausenden Festivalisten. „Ey, geile Madsen-Coverband, alter!“ hörte ich neben mir jemanden rufen. Ob ihn wohl später einer darüber aufklärte, dass es gar keine Coverband war?

Ich denke gerne zurück an dieses schöne Wochenende, wurde doch jeglicher Service geboten. So stellten sich La Dispute gerne als Weckdienst zur Verfügung und schlugen jegliche Müdigkeit bereits am frühen Freitag Nachmittag windelweich, bis sie sich weinend in die Ecke verkroch. Wer nach diesen spektakulären 30 Minuten noch nicht wach war, der hat wohl Valium gefrühstückt.

Die nachfolgende Bewegungstherapie boten LaBrassBanda. Blasinstrumente scheinen eine beflügelnde Wirkung haben. Zumindest vor der Blue Stage schienen die Menschen sich mehr Zeit in der Luft zu befinden und den Boden weitere Male nur als Absprungplattform zu nutzen. Party auf Bayrisch im hohen Norden, das geht gut. Sehr gut sogar.

Die Sportfreunde Stiller unterstrichen dies im Anschluss nämlich auch nochmals. Während irgendwo in Osteuropa elf überbezahlte Hampelmänner über einen Rasen rannten, schafften es die Sportfreunde in headlinerwürdiger Bühnenkulisse und mit qualifizierten Gastmusikern eine fast fußballfreie Atmosphäre zu schaffen. Gut, über die Spielstanddurchsagen und den Refrain von „54, 74, 90, 2010“ sei hinweggesehen denn der Rest dieses Auftritts machte so richtig Spaß.

Spaß hatten auch die betrunkenen Engländer, die sich im Anschluss vor der Blue-Stage ausbreiteten. Im Gespräch hörte man heraus, dass ihnen diese komische, deutsche Band grade gefallen hatte, sie sich nun aber mehr auf die britischen Volkshelden von The Stone Roses freuten.

Die Freude war auch nicht unbegründet. In Deutschland wurde diese Reunion zwar wenig beachtet, jedoch wurde das Hurricane dieser Band mit einem Blue-Head Posten gerecht. Anfangs schleppend, zum Ende allerdings ausgelassen sorgten Ian Brown und seine Mannen für eine dickeirige prä-Britpop-Party mit gesundem Selbstbewusstsein. Von Problemen innerhalb der Band war keine Spur zu merken und die gute Laune schlug sich auch ins Publikum über. Vor allem den betrunkenen Briten konnte man dies ansehen.

Da der festivalübliche Schlafmangel ja bekanntlich durch Bier ausgeglichen werden kann, ging es auch voll motiviert in den Samstag. Während die Cantina-Band die letzten Schlafmützen wachrüttelte („Hey, spielt den selben Song nochmal!“), sorgte Thees Uhlmann auf dem Gelände für die eher ruhigeren Töne.
Viele der jungen Besucher hätten sich vor kurzem wohl noch gefragt, wer der alte Mann mit der Akustikgitarre denn wohl wäre? An diesem Tag war der Platz vor der Blue-Stage allerdings bis zum bersten gefüllt. Anekdotenmeister Uhlmann schüttelte die eine oder andere witzige Geschichte aus dem Ärmel und eroberte mit ehrlichen und guten Liedern die Herzen der anwesenden im Sturm. Blöde Floskel, ja, aber diesmal trifft es das eben genau.

In die Herzen, vor allem der anwesenden Männer schaffte es Florence + The Machine ebenso schnell. Im luftigen Blümchenkleid tanzte und hüpfte sie da unbefangen über die riesige Bühne, als hätte sie es sich von den Hippie-Kindern auf dem Campingplatz abgeschaut. Woodstock lies grüßen während ihre knallig roten Haare im Wind wehten. Auf Hits wurde vollkommen verzichtet, dafür bekam man aber ein wunderbares Konzert mit Gänsehautfaktor.

Inzwischen machten sich immer mehr kleine, überschminkte Mädchen mit USA-Fahnen vor der Bühne breit, offensichtlich für Mumford And Sons, die später am Abend aufspielen sollten. Doch erstmal war es Zeit für den Altmeister Noel Gallagher. Die Coolness sprühte nur so von der Bühne entgegen, als er mit seinen High Flying Birds die Latte für alles nachkommende unfassbar hoch setzte. Für mich persönlich die beste Show des Festivals, auch wenn sich Mr. Gallagher heute eher wortkarg zeigte.

Für die massive dehumanisierung des Publikums sorgten spät in der Nacht das französische Elektro-Duo Justice. Selbst der Brezelmann mit seinem Bauchladen konnte dem Sound nicht widerstehen und landete samt Brezeln im Moshpit. 90 Minuten reinste Party sorgten am Ende für schmerzende Füße, die aber selbst im Zelt noch nicht still zu stehen schienen.

Der Satz des Sonntages war wohl definitiv der eines Festivalbesuchers, der zufällig neben mir nach K.I.Z. die Blue-Stage verließ. „Ich habe meine Kapuze nicht auf, weil der starke Wind die Haare eher trocknet, als dass sie vom Regen wieder nass werden.“. Für diese Weisheiten muss man Festivals einfach lieben. K.I.Z. selbst waren verdammt gut, wohl mit das stimmungsvollste Konzert welches ich auf dem diesjährigen Hurricane gesehen habe. Im strömenden Regen spritzten sie immer wieder die Pfützen, die sich auf der Bühne bildeten ins Publikum. Auch Wasser aus der Flasche gabs für die ersten Reihen („Mensch, ihr seht so durstig aus!“). Derber Humor, Fußballhass, ich persönlich war befriedigt.

Während der Regen weiter unaufhörlich auf das Festivalvolk prasselte, schienen Katzenjammer das ganze als Spaß zu sehen. Anfangs noch skeptisch ob des kühlen Nasses von oben, sprangen die vier charmanten Damen kurze Zeit später selbst im Regen herum. Eine mitreißende Show die absolut Spaß machte und die bis auf die Unterwäsche durchnässte Kleidung vergessen lies.

Krönender Abschluss dieses Festivals waren die am Anfang bereits angesprochenen deutschen Urgesteine von Die Ärzte. „Macht euch keine Sorgen, eure Lieblingsband steht im trockenen.“ Dankeschön, da bin ich beruhigt. In den letzten Jahren live doch immer schwächer geworden, konnten sie mich bei diesem Konzert endlich mal wieder begeistern. Gut, die Kernsetlist war für die wirklichen Fans doch ziemlich langweilig, da stark auf Festival- und Hittauglichkeit ausgelegt, aber die kleinen Gimmicks zwischendurch ließen das Fanherz höher schlagen. Ein angespieltes „FDJ-Punx“, ein spontanes Medley aus 80er Songs und 20 Minuten Überziehen konnten dann doch wirklich überzeugen. Ein würdiger Abschluss eines tollen Festivals.

Hurricane, du geiles, nasses Pferd. Ich komm nächstes Jahr wieder, mach dich schonmal bereit!

 

Alle Bilder Eigentum von Thomas Regniet / Festivalisten. 

 

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Steffen Neumeister