Festivalisten logo

I Need You So Much Closer. Notizen vom Death Cab-Konzert in München

28. Juni 2011

Ein lauer Sommerabend in München. Konzertbesucher überqueren in eiligen Schritten die Isar, passieren das deutsche Museum und biegen in die Zellstraße ein. Vorbei an gefüllten Biergärten.

Eine Menschentraube lässt hoffen, dass das Ziel erreicht ist. Eingebettet in eine Grünanlage liegt die Muffathalle. Heute kommen Death Cab for Cutie.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Kirchturm, ist Relikt der ursprünglichen Bestimmung des Muffatwerks: Früher diente es als Elektrizitätswerk. Die Halle weist im Inneren tatsächlich Industriecharakter auf. Die Betonwände links und rechts sind gehüllt in ein oranges Licht. Entlang der Wände haben sich Besucher niedergelassen. An der Bar im hinteren Teil der Halle herrscht Hochbetrieb. Denn auf der Bühne vorne wird derzeit noch rege gearbeitet.

Als die Beleuchtung erlischt und die Scheinwerfer die Bühne erstmals in einem bunten Farbenspiel erleuchten, richtet sich der Fokus der meisten Besucher nach vorne. Oder auf die mitgebrachte Begleitung: Rundum kuschelnde Paare. Aber das soll an diesem Abend nicht weiter stören.

The Head And The Heart, alle Fotos: Manuel Hofmann

Die Vorband betritt die Bühne: The Head And The Heart aus Seattle. 2009 gegründet, und bereits häufiger als Vorprogramm für namhafte Bands unterwegs gewesen. Unter anderem mit Vampire Weekend, The Decemberists und Iron & Wine. Eine Weile braucht die Folk-/Indie-Band um das Publikum auf sich aufmerksam zu machen. Ab Lied zwei wippen die ersten Reihen bedächtig mit dem Kopf – ausschweifenden Tanz des Publikums sollte man auf einem Death Cab-Konzert aber ohnehin nicht erwarten. Immerhin werden die Lieder mit kräftigem Applaus verabschiedet – und mit störendem Schnattern aus den hinteren Reihen.

Sechs Junge Menschen stehen da auf der Bühne. Und es bereitet große Freude, sie zu beobachten. Da wäre beispielsweise Charity Rose Thielen. Ihre beeindruckende Stimme verzückt. Sichtlich nervös steht sie auf der Bühne und klammert sich an der mitgebrachten Geige. Als sie diese in einem Lied nicht zur Hand hat, werkelt sie verunsichert am Mikrofonständer. Und als der -wirklich- in einer guten Position ist, beginnt sie an sich selbst herumzuzupfen. Und hüpft chaotisch auf der Bühne herum. Böse Zungen sehen in ihrem Verhalten eine Masche. In einer naiven Betrachtungsweise ist es aber nicht mehr, als eine junge Frau, der die Abgebrühtheit fehlt, vor großen Menschenmengen zu spielen – und deren Nervosität irgendwie sympathisch ist. Kontrastprogramm gibt es auf der anderen Seite der Bühne: Der Bassist steht am linken Rand, dem Publikum halb abgewandt. Den Bass hält er ungewohnt hoch. Er trägt Muskelshirt in Army-Look und wippt das ganze Konzert über selbstgefällig auf und ab. Dann lieber zurück zu Charity Rose, die in einer Ansage von ihrer großen Freude spricht, mit Death Cab spielen zu dürfen. Das erste mal sei es, deshalb: „really excited“. Na das glaub ich dir gerne.

Der Konzertraum erhellt sich wieder. Gemütlich beginnen die Roadies mit dem Umbau. Einige Minuten gebanntes Warten, auf jene US-amerikanische Band, die sich etwas rar macht. Zumindest auf deutsche Festivals scheint man Death Cab for Cutie nicht zu bekommen. Dafür gibt es ein neues Album: „Codes and Keys“. Das Achte. Ein Album, das eine hohe Erwartungshaltung aufkommen lässt. Denn gut ist es.

Death Cab For Cutie

Das Licht geht aus. Die Band betritt die Bühne. Ben Gibbard schreitet zum Mikrofon. Das Konzert beginnt. Ohne großes Tam-Tam. Und die ersten Lieder werden gespielt. Keine großen Unterbrechungen. „Hello Munich. Good to see you“. Das muss langen. Und es langt. Los geht es mit “Title Track”. Ben Gibbard trägt ein Holzhackerhemd – rot kariert. Die Haare sind länger als gewohnt, Mittelscheitel. Zwischendurch präsentiert er die klassischen Rockstarposen. Ein Sprung aufs Schlagzeugpodest und ein kurzes Spucken auf den Boden – dann geht es weiter mit dem nächsten Lied.

Das neue Album feiert Deutschland-Premiere auf Platz sechs in der Setlist. Begrüßt wird es von einem lauten, rhythmischen Klatschen aus dem Zuschauerbereich. Und viel Nebel an der Bühne. Dazu pinkes Licht, das sich seinen Weg durch den dichten Nebel bahnt. Mitten drinnen spielen die vier US-Amerikaner „Some Boys“. Und „Company Calls“, „Long Division“.

Dann bekundet Gibbard, München sei eine wunderschöne Stadt. Es folgt ein Lied über die Heimat der Band: „Grapevine Fires“. Gibbard sitzt nun das erste Mal am Klavier im hinteren Teil der Bühne. Links und rechts illustrieren die tiefroten Scheinwerfer jene Flammen, die im Lied an den Weinstöcken lodern. Und das Ende aller Tage verkünden.

Weiter im Programm. Die großartigen Momente kommen immer dann, wenn Gibbard am Klavier sitzt. So auch bei „Summer Skin“, das sich direkt an „Grapevine Fires” anschließt. Oder „Codes and Keys“, das dem neuen Album seinen Namen gibt.

„I Will Follow you into the Dark“: Gibbard hat seine Position nun wieder gewechselt und wird von einem einzelnen blauen Scheinwerfer beleuchtet. Der Rest der Band hält sich dezent zurück. Das ist jetzt seine Sache. Einzig begleitet von seiner Gitarre und einem Publikum, das mitsingt. Nicht sonderlich laut, aber immerhin. Eine der vergleichsweise minimalistischsten Momente des Konzerts – und einer der schönsten.

Danach wieder das gewohnte Spiel: ein buntes Intermezzo durch die Albumgeschichte Death Cab: „You Are A Tourist“ und „Underneath The Sycamore“ vom aktuellen Album. „President of What“ (Something about Airplanes), „Title and Registration“ (Transatlanticism) – und so weiter. Ohne große Pausen. Das Konzert fließt und reißt seine Besucher mit. Hinein in einen Zustand der tiefen Zufriedenheit.

Dass zwei Stunden Konzert – fast ohne Pausen – auch für Musiker ein Kraftakt sind, merkt man spätestens bei „Soul meets Body“. Wir sind mittlerweile beim zwanzigsten Lied angekommen. Gibbards Hemd ist klitschnass. Gleiches gilt für die Haare, die er ambitioniert trockenschütteln will. Das erinnert wahlweise an einen aus einem Gebirgsbach kommenden Pudel oder an die Rasensprenkelanlage vom Nachbarn. Aber soll er nur. Solange er uns weiter mit seiner Musik begeistert. Das tut er: Mit „Cath“ und „The Sound of Settling“. Danach geht die Band von der Bühne.

Das hätte es sein können. Das Publikum ist begeistert, feiert die Band mit überschwänglichem Applaus. Die „Zugabe“-Rufe werden erst nach Minuten laut. Die Arbeiter beginnen bereits an den Instrumenten zu schrauben. Gibbard und Co kommen trotzdem noch mal zurück. Zu einer denkwürdigen Zugabe, beginnend mit „Stay Young, Go Dancing“. Passt ja irgendwie. Es folgen „Marching Bands of Manhattan“ (Anmerkung: Persönliches Lieblingslied, daher ungebremste Begeisterung meinerseits.) und „Expo ’86“.

Und abschließend: „Transatlanticism“. Gibbard sitzt nun wieder am Klavier. Die Bühne leuchtet in kühlem Blau. Der dazugehörige Nebel schafft ein mystisches Setting für ein großartiges Lied. Gegen Mitte des Liedes nimmt Ben ein letztes Mal seine Gitarre zur Hand, geht nach vorne. I need you so much closer. I need you so much closer. Die Geschehnisse auf der Bühne werden auf die Seitenwände projiziert: Gibbards Nicken mit dem Kopf schafft den Eindruck von aufbrandenden Wellen. Ein magisches Schattenspiel. I was standing on the surface of a perforated sphere /When the water filled every hole. /And thousands upon thousands made an ocean. Es passt. Wie so vieles an diesem Abend.

 

Death Cab for Cutie Setlist Muffathalle, Munich, Germany, Codes and Keys European Tour 2011

 

+1
0
+1
0
+1
0
+1
0
+1
0
+1
0
Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.