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Kasabian – Velociraptor!

22. September 2011

Spätestens seit ihrem letzten Album ist der Exzess Kasabians rockmusikalisches Stilmittel: Schwer vereinbare Elemente werden zusammengezimmert, ein ausfransender und nicht homogener Sound kreiert. Diese Schiene fahren die Briten auf ihrem neuen Werk Velociraptor! fort.

Kasabian - Velociraptor!

Der Velociraptor war, so betonte Multiinstrumentalist und Songschreiber Sergio Pizzorno bereits im Vorwege des Release, der einzige Dinosaurier, der den vermeintlich übermächtigen Tyrannosaurus Rex platt machen konnte. Weil er immer in der Herde angriff.

Auf das Bandgefüge übertragen besteht jene starke Herde aus den vier Jungs aus Leichester und der Velociraptor selbst ist gewissermaßen das Sinnbild für den Größenwahn der nicht gerade für ihre Bescheidenheit berühmten britischen Rocker. 60 Prozent des Schädels jenes Urzeitreptils bestanden aus seinem Maul – auch das passt irgendwie zu Kasabian: Neben ihrer Musik sind sie in erster Linie liebenswürdige Maulhelden, die immer einen auf dicke Hose machen müssen. So auch jetzt, denn wenn es nach ihnen geht ist das neue Werk natürlich wieder mal das beste Album ihrer Karriere und sie selbst die fetteste Rockband Englands. Sänger Tom Meighan setzt dieses Mal sogar noch einen drauf: Die Platte wird das Leben der gesamten Menschheit verändern. Nun, ist das so?

Kasabians vierter Longplayer ist zunächst einmal eine melodiös-rockige Reise in die Vergangenheit, in der die Band Erlebtes reflektiert, ein Stück weit bereits die eigene Bandlaufbahn. Eingeleitet wird der Trip mit großem Gong und Fanfaren in „Let’s roll like we used to“, einem Song über die seit Kindestagen andauernde Freundschaft Meighans und Pizzornos (‚In fields when we were young/ our hearts got lost in the circles’). Die erste Single und Stadionhymne „Days are forgotten“ entpuppt sich bei genauerem Hinhören als Slow-Motion-Version des Hits „Club Foot“ vom Debüt, besticht dennoch durch den kratzigen Delta-Blues-Riff kombiniert mit Indianergesängen und dem für die Jungs so typischen Funk. Dazu Lyrics über die Suche nach der eigenen Identität und längst verlorene, vermisste Tage, die Meighan beinahe aggressiv heraufbeschwört (‚Cos I am taking back what’s mine/ I am taking back the time/ You may call it suicide/ But I’m being born again/ I’m waiting’).

Dass Kasabian sich auf Velociraptor! als große Zitatesammler mit Mut zur Retrospektive entpuppen, dürfte spätestens ab dem Song „Goodbye Kiss“ klar sein; eine der wirklichen Überraschungen, weil er einen für die Band eher untypischen Sound hat. Ein traditioneller, melodischer und wunderschöner Popsong, der nicht von ungefähr an die Beatles erinnert. Kein Wunder, hat doch Sergio als frischgebackener Vater in etlichen durchwachten Nächten seine Plattensammlung rauf und runter gehört, die sich jetzt am Endprodukt bemessen anscheinend quer durch Jahrzehnte des Britpop zieht. Die dezidierte Anspielung auf die Beatles findet sich in dem mit Akustikgitarre untermalten, psychedelischen Abgesang auf die grüne Absinthfee: ‚I see Lucy in the sky telling me I’m high’ (und ebenfalls hübsch: ‚There’s policemen in my bed telling me I’m dead’). Musikalisch ist „La Fée Verte“ eines der Highlights der neuen Scheibe. Strukturierter Aufbau und langsame Entfaltung bei der sich Klavier und Mariachi-Trompete die Hand reichen, anstatt grob mit dem Rockhammer durch die Vordertür zu brechen. Hier wird die musikalische Weiterentwicklung gegenüber dem 2009 erschienenen „West Ryder Pauper Lunatic Asylum“ deutlich; diesem mit heavy Beats gespickten, psychedelisch-rockigen Konzeptwerks.

Kasabian am Southside 2011

Mit „Velociraptor“ dann wieder ein Richtungswechsel im Album: geniale Melodieführung mit festivaltauglichem Mitgröll-Refrain, der beim ersten Ohrenkontakt noch Fremdschämalarm auslöst, weil eben so banal: Velociraptor/ He’s gonna find ya/ He’s gonna kill ya/ He’s gonna eat ya!’ Nach mehrmaligem Hören kann ein Schmunzeln dann aber nicht mehr zurückgehalten werden. Ist eben ein Feel-Good-Song, der auch ohne große Botschaft Spaß macht und Zeichen für den Humor der Lads ist. „Acid Turkish Bath (Shelter from the storm)“ hingegen ist dann der Track, an dem sich die Geister scheiden. Zu Beginn klingt er über die Maßen episch mit seinen orientalischen Streichern (das 20-köpfige Orchester lässt Grüßen), ehe der Song einen Bruch vollführt und das Gefühl zurückbleibt man streife irgendwo durch Nahost, während gleichzeitig von Crystal Meth gesungen wird. Als Keytack postuliert, reißt er allerdings nicht wirklich mit. Die Einzelelemente stimmen, aber als sechsminütiges Gesamtpaket wirkt er zu überfrachtet und haut total raus.

Ab hier ruht der Finger leider auf der Skip-Taste, denn Velociraptor! dümpelt nur noch vor sich hin, wirkt stellenweise sogar lustlos. „I hear Voices“ kommt mit seinen Synthiewänden dröge rüber, rollt dahin und endet abrupt. In „Re-Wire“ treffen kratzige Gitarren auf Streicherpartituren, bevor man mit dem „Man of Simple Pleasures“ erneut durch die Prärie reitet. Wirklich erheben tut sich die Platte aber erst wieder mit „Switchblade Smiles“, diesem Elektro-Rock-Monster. Kurzum: Der wahre Velociraptor auf Velociraptor! – Urschrei mitinbegriffen. „Diese Nummer bringt dich dazu mit 140 km/h gegen eine Steinmauer zu fahren“, so Pizzorno über den Track. Das sei mal dahingestellt, zumindest sind Mosh-Pits während der Live-Performance garantiert! Zum Schluss grüßen bei „Neon Moon“ wieder die analogen ARP-Synthesizer, die mit abschließendem Gruß der 70er-Jahre noch ein bisschen quälen.

Velociraptor! mit all seiner Retrospektive funktioniert nach einem simplen Prinzip: Nimm einen Einfluss aus der Vergangenheit und gib ihm einen modernen Dreh. Und schnalle ihm am besten auch noch einen Raketenantrieb an. Das machen Kasabian auch gut. Dennoch: Bei dem wüsten Mix aus Rock, Elektro und HipHop, den hier und da durchklingenden The Who, Led Zeppelin, Duran Duran und Beatles, hätten letztendlich ein bisschen mehr Homogenität und Kasabian dem Gesamtwerk nicht geschadet, anstatt bloße Musikgeschichte zu rezitieren. Velociraptor! ist kein schlechtes Album, aber eben auch kein überragendes und es wird schon gar nicht das Leben der Menschheit verändern. Am ehesten ist es ein imposanter Dino mit stumpfen Zähnen.

[tourdaten]kasabian[/tourdaten]

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Sabrina Timm