von Dennis Hammerschmidt und Julia Haupt
Nach zwei Tagen durchtanzen und durchfeiern ist der Sonntag auf dem Melt! traditionell der Tag zum entspannen. Das Wetter passt sich dementsprechend an. Sonnenschein und teils strahlend blauer Himmel. Selbst die Temperaturen erinnern nun endlich an den Sommer, der die letzten Tage und Wochen nicht so ganz aufkommen wollte. Gute Voraussetzungen also für den letzten Festivaltag. Los ging es dabei mit dem ersten Festivalauftritt der Jezabels in Deutschland. Die Australier geben mit einer soliden Performance vor einem verstärkt sitzendem Publikum den Trend für die Mainstage vor, bis um kurz nach 23 Uhr Justice die Bühne übernehmen werden. Viel Spektakuläres gibt es von dem Auftritt jedoch nicht zu berichten. Durchschnittlich aber angenehm passend zur Uhrzeit und zum Wetter.
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Interessanter war da schon der Auftritt von Icona Pop. Aufgrund der krankheitsbedingten Absage von SebastiAn wurde der Auftritt der zwei Schwedinnen auf 19 Uhr verlegt. Zu Beginn des Konzerts war die Gemini Stage jedoch sehr dürftig gefüllt. Im Laufe des Konzerts änderte sich dies jedoch relativ schnell. Das lag nicht zuletzt an ihrer Spielfreude und ihrer Nähe zum Publikum. Das Konzept die Bandbreite an elektronischer Musik mit Popeinflüssen und weiblichen Gesang zu kombinieren überzeugte schon letztes Jahr beim Auftritt von Katy B und funktionierte dieses Jahr ähnlich gut. Trotz der eher trägen Stimmung, die auf der Hauptbühne herrschte wurde das Publikum zum Tanzen und Springen motiviert. Eine große Überraschung und definitiv ein Highlight des Wochenendes.
Danach ging es dann wieder zurück an die Mainstage zu Destroyer. Klingt erst einmal wie eine Thrash Metal Band, oder zumindest nach viel Schlagzeug und E-Gitarre, ist im Endeffekt aber das Pseudonym des kanadischen Indie-Folk Künstlers Dan Bejar. Die Hauptbühne war aber leider erschreckend leer und das Publikum verlor sich ein wenig auf dem Platz. Hier wäre ein Auftritt auf der Gemini Stage vielleicht angebrachter gewesen. Die ruhigen Töne des von Bejar selbst bezeichnetem “European Blues” passten, wie auch schon bei den Jezabels, gut zu Wetter und Stimmung. Ich hätte mir nur etwas mehr Kontakt zum Publikum gewünscht. Er spielte mit seiner Band die Stücke zwar gut und baute viele Solos ein, mehr aber auch nicht. So zog sich der einstündige Auftritt etwas und dem Publikum ging gegen Ende hin etwas die Luft aus.
Anschließend übernahmen The Whitest Boy Alive die Bühne und schlagartig war der Platz vor der Mainstage komplett voll und die Ränge bis auf den letzten Platz besetzt. Es war für mich das erste Konzert der Vier und ich war von Anfang bis Ende durchweg begeistert. Sie spielten mit einer enormen Leichtigkeit und Qualität, waren stets im Einklang mit dem Publikum, agierten mit ihnen und brachten jeden zum Tanzen. Mit ihrer sympathischen Art unterhielten sie das Publikum auch abseits der Songs. Besonders gut kam der letzte Song “Bad Conscience” an, dessen Badadadadadada noch einige Minuten nach dem Auftritt vom Publikum mitgesungen wurde. Für mich der beste Auftritt des Wochenendes.
Auch auf die Gefahr hin, dass mir jetzt viele widersprechen werden, der Auftritt von Justice war für mich ziemlich enttäuschend. Im Vorfeld hat man nur Gutes über die zwei Franzosen gehört und auch die Berichte vom Southside-Auftritt diesen Jahres versprachen einen fulminanten Auftritt, der für meine Begriffe jedoch ausblieb. Sie spielten starr ihr Set runter, ohne auf das Publikum zu reagieren. Die Pausen zwischen den Liedern bremsten den Tanzfluss der Menge deutlich ab und auch die Pianosession hätte man sich sparen können. Die Qualität ihres Auftritts steht außer Frage, für mich gehört aber zu einem Headliner, wenn man das beim Melt! überhaupt so nennen kann, und einem DJ Auftritt, dass sie die Stimmung aufgreifen und mit dieser Arbeiten, was hier leider nicht der Fall war. Ebenfalls enttäuschend war, dass sie knapp 20 Minuten kürzer gespielt haben, als eigentlich auf dem Timetable angegeben war. Schade, da ich mich wirklich sehr auf ihren Auftritt gefreut habe.
Nun stand noch zur Auswahl, wie das Melt! beendet werden soll. Die Entscheidung war zwischen Richie Hawtin auf der Big Wheel Stage, die das Wochenende über etwas zu kurz kam und Yeasayer im Intro Zelt. Ich entschloss mich dazu beides mitzunehmen und machte mich auf zum Technofloor, bei dem man jedoch weiter hinten den Menschen die Müdigkeit anmerken konnte. Trotz alledessen bewegte man sich im Takt und lies den Blick noch einmal über die in diesem Jahr sehr schön aufbereitete Big Wheel Stage und das Gelände schweifen, während Richie Hawtin ein gutes, wenn auch zeitweise etwas monotones, Set spielte. Das Intro Zelt anschließend war brechend voll. Yeasayer profitierten vielleicht auch etwas davon, dass sie keine direkte Konkurrenz mehr hatten. Mit einem etwas indisch anmutendem Bühnenbild und einem sehr dankbaren Chris Keating, der oft betonte, wie sehr es ihn freue, dass so viele Menschen um 1 Uhr nach einem Festival noch bei ihrem Auftritt waren, spielten sie ein sehr klares und gut strukturiertes Set. Danach war dann aber endgültig Schluss. Vorbei am gut gefüllten Sleepless Floor, der noch bis Montag um 12 Uhr für diejenigen Musik bot, die immer noch nicht heimgehen wollten und einem letzten Blick nach hinten auf die beleuchteten Bagger und die wunderschöne Farbenpracht auf der Halbinsel ging es dann endlich Richtung Zeltplatz und in den wohl verdienten Schlafsack.
Fazit
Das Melt! wächst. Jedes Jahr ein bisschen; und jedes Jahr wird diese Erkenntnis deutlicher. Wo früher in einer kleinen Gruppe von 6.000 Menschen Musik „intensiv genossen“ und gemeinsam von Bühne zu Bühne gepilgert wurde, moniert der alteingesessene Melt!er im Shuttle Bus zum Gelände lautstark – einer gewissen Selbstironie zum Trotz – die Kultur des Festival-Tourismus: Gäste aus Großbritannien, die nur anreisen, um sich vier Tage flüssigen Stimmungsaufhellern hinzugeben. Gäste aus Italien, die den Zeltplatz zum Sleepless Floor machen, sehr zum Verdruss der umliegenden Nachbarn. Zu stark sei mittlerweile die Annäherung an konventionelle Festivals, von denen man sich bisher so erfolgreich distanziert hatte. Zu groß die Angst, dass Privilegien wie die Erlaubnis zum Crowdsurfing und Schwenken von Fahnen dem Missbrauch durch eine chaotische Minderheit anheim fallen und wie andernorts unwiderruflich gestrichen werden. In letzterem Fall sicherlich berechtigte Bedenken, doch erwartet man mehr als Parolen von Gästen eines Festivals, dass sich in den letzten 15 Jahren mit Toleranz, Umweltfreundlichkeit und nicht zuletzt auch einem gewissen Maß an Kultiviertheit vom Rest der Festival-Landschaft abzugrenzen versucht hat. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Weg zum 20.000+ Festival ohne einen gewissen Grad an Mainstream nicht möglich gewesen wäre und gerade diese Entwicklung alljährlich große Namen wie Justice, Pulp, Oasis oder Björk finanziell überhaupt erst möglich macht. Gerade den Blick über diesen Tellerrand hinaus beweist das Veranstalter-Team Jahr und Jahr mit erschreckender Präszision, ohne dabei den individuellen Charakter des Melt!s aus den Augen zu verlieren. Ein Talent, das ihnen trotz gegenläufiger Meinungen auch in den kommenden Jahren zu wünschen ist. Denn: Nicht jede Öffnung gegenüber neuen Einflüssen, muss dem Zugrunderichten einer Tradition gleichkommen – vielmehr schafft sie die Basis für ein noch abwechslungsreicheres und damit augenzwinkernderweise noch hipperes Festivalerlebnis.
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