Michael Eavis sieht die Zukunft des Glastonburys in Gefahr – und berichtet von generellen Problemen auf dem Festivalmarkt

Der Glastonbury-Gründer Michael Eavis behauptet, dass das Festival “möglicherweise nur noch drei oder vier Jahre vor sich hat”, bevor Apathie und Wirtschaft die traditionsreiche Veranstaltung zu einem Ende bringen könnten. “Es wird nicht mehr lange bestehen bleiben”, äußerte er sich in der “Times” und führte zur Begründung alles von günstigeren Alternativen bis hin zu steigenden Studiengebühren an. Eavis fährt fort: “Zum Teil ist es die Wirtschaft, aber ich habe auch das Gefühl, dass die Leute alles schon gesehen haben.”

Der 75-jährige Glastonbury Gründer Michael Eavis

Das Festival könne man nur noch wegen den “riesigen Headlinern” ausverkaufen. Mit Blick auf dieses Jahr eine kontraintuitive Aussage: das Festival war binnen vier Stunden ausverkauft – monatelang vor der LineUp-Bekanntgabe. Gerade das Glastonbury spielt auf dem europäischen Festivalmarkt eine Sonderrolle der Open-Air-Veranstaltungen, weil es seinen Ausverkauf bekanntgeben kann, bevor musikalische Programmpunkte feststehen. Im Vergleich: schon jetzt ist für die Großfestivals in Deutschland Hurricane/Southside und Rock im Park/Rock am Ring jeweils der erste Headliner für 2012 bekannt.

Es ist jedoch zu erwähnen: beim Glastonbury kann man sich – basierend auf der Erfahrung von den Vorjahren – eigentlich sicher sein, dass das Musikaufgebot gefallen wird: 22 Bühnen sorgten in diesem Jahr für die Unterhaltung der Zuschauer – dazu das übliche Rahmenprogramm. Eavis’ These ist also nicht vollständig von der Hand zu weisen.

Insgesamt sei der Markt überfüllt, so Eavis, mit Verweis auf sonnige Festivalalternativen wie das spanische “Fiberfib”. Obwohl diese Tendenz der stärker werdenden Konkurrenz fraglos zu erkennen ist, muss diese in Bezug auf das Glasto relativiert werden: selbst 2008 – Tickets gab es bis zum Beginn der Veranstaltung – erreichte man am Ende die gewünschte Besucherzahl und konnte rund 1,1 Millionen Euro für Hilfsprojekte spenden.

Eavis’ Sorgen um das Glastonbury sind wohl eher unbegründet – und wohl als letztes Aufbäumen des Veranstalters vor der Olympia Pause 2012 zu verstehen. Zu wichtig ist die Stellung des Glastonbury auf dem europäischen Festivalmarkt – zu groß die Medienpräsenz.

Die Situation in Europa

Für Reading/Leeds sollen, nach Aussage von Eavis, noch etwa 40% des Ticketkontingents verfügbar sein. Das wäre ein  bezeichnender Absatzeinbruch im Vergleich zum Vorjahr, wo das R/L den gewohnt frühen Ausverkauf feiern konnte. Kritiker sehen den schlechten Absatz im – vergleichsweise – schwachen LineUp gekoppelt mit dem hohen Ticketpreis begründet, wobei das angesichts des Aufgebots (u.a.: Muse, The Strokes, Pulp) auch in Frage gestellt werden muss.
Die Buchung von My Chemical Romance am Festivalfreitag ist dagegen Ausdruck des durchaus beobachtbaren Headlinerproblems: die “alten” – erfolgsversprechenden – Headliner sind zu teuer oder nicht verfügbar – potentiellen Nachfolgern fehlt dagegen momentan noch die Zugkraft.

Als Paradebeispiel für das “Headlinerproblem” kann – in diesem Jahr – das Area4 herangezogen werden. Wir erinnern uns: die Foo Fighters waren nach Aussage der Veranstalter zu teuer. Zwischendurch hörte man vom Festival, dass man noch nach zwei Headlinern sucht. Mittlerweile wurden aber Thirty Seconds To Mars, Dropkick Murphys und Deichkind auf diese Position gesetzt. Folkert Koopmans, Geschäftsführer von FKP Scorpio, kommentierte am Rande der Southside-Pressekonferenz: Man habe dieses Jahr kein Händchen für die Bands gehabt. Es seien einfach keine verfügbar gewesen, so sein O-Ton.

Nicht nur das Area4 hat zu rudern: auf vielen wichtigen Augustfestivals – wie Frequency und Highfield – sind Tageskarten verfügbar, was einen absehbaren Ausverkauf ausschließt. Die Sonispheres kämpften, vor allem in Bulgarien (wo man das Festival letztlich des schleppenden Ticketverkaufs wegen ganz absagen musste) und der Schweiz. Dort kamen 25.000 – anstatt der ursprünglich erwarteten 45.000 – Besucher. Das Festival musste daher bereits im Vorfeld die Hauptbühne vom Baseler Fußballstadion in eine kleinere Halle verlegen. Bei Rock im Park kamen – trotz Tagesticketverkäufen – nur 55.000 Besucher. Man sprach von “üblichen Schwankungen”.

Als pauschal kann man den Trend allerdings nicht einstufen: der Blick über den Tellerrand lässt beispielsweise an das Coachella denken, das im kommenden Jahr an zwei Wochenenden veranstaltet wird, um den enormen Ticketbedarf befriedigen zu können.
Auch hierzulande gibt es Erfolgsgeschichten: das Wacken 2011 konnte bereits Anfang Februar seinen Ausverkauf bekanntgeben. Als Ausverkaufs-Garanten erweisen sich zudem kleinere Konzeptfestivals, wie das Haldern Pop, was auf generelle Entwicklungen im Festivalmarkt schließen lässt.  Haldern und Co sind Exoten, die ein Stammklientel anziehen. Und das macht ihren Erfolg aus.

Fazit

Bereits 2008 sprach Michael Eavis gegenüber dem “Guardian” die steigenden Kosten an: Infrastruktur aber auch Bands machen die Open-Airs teuer – und lassen die Ticketpreise steigern. Das wiederum wirkt sich freilich auf die Ticket-Absätze aus.
Das immer wichtiger werdende Live-Geschäft treibt auch die Booking-Kosten in die Höhe. Wie die “Musikwoche” vor einigen Tagen berichtete, stiegen die Gesamtumsätze der 50 erfolgreichsten Tourneen zuletzt deutlich – dank steigender Ticketpreise.

Eavis zeichnet ein relativ düsteres Bild der Festival-Zukunft. Stellenweise sind seine Aussagen durchaus interessant, aber gerade aufs Glastonbury nicht unbedingt passend. In diesem Jahr konnte man neben den Headlinern Beyonce, U2 und Coldplay auch Radiohead und Pulp für sogenannte “Secret Gigs” verpflichten. Wie die vergangenen Jahre war das Festival ausverkauft – mit dem Potential auf viele weitere Besucher. Und auch die Pause im Jahr 2012 ist wohl als „Luxus“ einzustufen. Für ein deutsches Festival wäre eine – freiwillige – Pause alleine aus Marketinggründen undenkbar.

In einem Punkt hat Eavis aber durchaus recht: Der Festivalmarkt wird sich weiter verändern. Aber wann tut er das schon nicht?

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Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.