Hotspot, Reviews

Mini-Rock 2012 – ein Blick zurück

Thomas Peter

Festivalfficionado, Fotodude

Neurobiologe, Festivalliebhaber. Verdient seine Brötchen mit Webseitenkonsulting (Strategische Planung, Erstellung, Pflege) bei 70six.de.

27 Bands hatten sich am Wochenende im Industriegebiet Horb eingefunden um bei sommerlichen Temperaturen das Mini-Rock vor 10.000 Festivalisten zu bestreiten. Eine Premiere für Festival und mich gleichermassen.

Die Macher des Mini-Rock freuten sich über den erstmaligen Ausverkauf, ich mich darüber das erste mal dabei zu sein. Die Jahre vorher hatte ich die Macher immer mit dem Hinweis vertröstet, im August schon zu viele Festivals auf der Agenda zu haben. Diesmal eine kurzfristige Zusage aus einem nächtlichen Chat heraus. Abgesehen von anfänglichen Problemen auf dem öffentlichen Campingplatz sollte es eine entspannte Erfahrung werden.

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Relaxter Shuttlebus.

Die Anreise gestaltete sich problemlos. Raus aus dem Zug, rein in den direkt bereitstehenden Shuttle-Bus. Gedränge? Fehlanzeige. Eine knappe Viertelstunde fährt man durch die mittlere Kleinstadt, vorbei an Feldern und Wiesen das Neckartal hinauf bis das Vehikel schliesslich in einem Kreisel am Ende des Horber Industrieparks zum Stehen kommt.

Wenige Minuten später hat man seine Akkreditierung abgeholt und stapft durch die kleine Senke auf das Luftlinie etwa 500 Meter entfernte Campingareal. Dort ist es idyllisch – und bei meiner Ankunft am Donnerstag Spätnachmittag auch ziemlich grün. Erst einige Zelte verlieren sich in der Weite des Raums. Ein Zustand, der sich schnell ändern sollte.

Donnerstags am Bänderltausch

Programm gab es noch nicht, also führt mich mein Weg zurück nach Horb Downtown um die sonnendurchfluteten Strassen zu durchforsten. Die Helferin an der Busstation schickt mich zu der ihrer Meinung nach besten Pizzeria im Umkreis, eine Einschätzung die man nach einmaliger Stichprobe nur bedingt teilen kann. Aber seis drum.
Zurück auf dem Zeltplatz dann der Schock in Form eines absolut sinnlosen, 40cm langen Cuts in meiner Zeltaussenwand. “Da ist wohl jemand draufgefallen” meinen die Nachbarn. Seh ich nicht so. Vielmehr war jemand mit einem Messer oder einer Scherbe mutwillig unterwegs. Neid wegen dem Presseausweis? Sichtlich genervt renne ich auf dem Platz umher und finde schliesslich Hilfe bei meinen Nachbarn zur rechten, die mir mit Hand und Gaffa-Tape zur Seite stehen.

Bei DJ-Musik im Partyzelt suche ich Zerstreuung, nur um bei meiner Rückkehr das Quechua samt Inhalt um 180 Grad gedreht vorzufinden – ausserdem hatte sich jemand darauf geworfen. Das war der Moment in dem mich zwei Gedanken durchbohrten: Du musst hier weg – und: Bekommst Du das Zelt wenigstens bis Morgen wieder zum Stehen. Es lies sich aufrichten und nach relativ schlafloser Nacht konnte ich abends aufs Helfercamping umsiedeln. Ein Unterschied von ca. 70 Meter Luftlinie – aber gefühlt eine ganz andere Welt. Zelt und Reiter sollten den Rest des Festivals unbelastet geniesen können.

Cro

Freitags wurde mir vor Augen gehalten, wie das Mini-Rock tickt. Open Air Bühne und das grosse Zelt werden im Wechsel bespielt. Die Menge tingelt also ständig zwischen den beiden Stages hin und her. Dafür sind rund 200 Meter zu überbrücken. Wie gesagt, alles ist sehr überschaubar beim Horber Festival.

Die ersten Bands hatten noch einen recht schweren Stand – es war halt Freitag und viele noch mit dem Beenden der Arbeitswoche beschäftigt. Dazu schweisstreibende Temperaturen und viel Sonne. Das bewog einige vor Ort doch lieber faul im Campingstuhl zu gammeln statt sich neue Bandhorizonte zu erschliessen. Ich persönlich war noch in einer leichten Depression wegen der Vorgänge am Vorabend gefangen – erst nach der witzigen Performance der körperlichen Selbstdemolierer Keule packte ich meine sieben Sachen und zog auf die ruhigere Campingparzelle um.

Meinem privatem Musikgeschmack folgend war nach Keule ziemlich viel Leerlauf im Getriebe – eigentlich bis Boysetsfire ihre Headlinershow antraten. Weder mit Rockstah noch Überflieger Cro und seiner bis in letzte einstudierten Show kann ich viel anfangen. Findus stammen zwar aus der selben Ecke wie Turbostaat -sowohl geografisch als auch musikalisch- konnten als deren Ersatz aber nicht glänzen. Schnell suchte ich nach dem Fotografieren das Weite und liess mich im Pressezelt zu einer Gulaschsuppe für 2,50 Euro verleiten.

Vorbereitet.

Boysetsfire als Headliner zu besetzen war eine mutige Entscheidung des Festivals. Denn die Mannen um Nathan Gray spielen nicht gerade eingängige, massenkompatible Musik. Sie passten eigentlich so gar nicht in die vorher konstruierte Pop-Rap Landschaft der Open Air Bühne. Die nach der Absage von Turbostaat zum Headliner der Zeltbühne aufgestiegenen Yakuzi sorgten mit ihrem kurzweiligen Trompetenpunk dafür, dass der starke Kontrast von Boysetsfire zum Vorabendprogramm wenigstens ein bisschen abgemildert wurde.
Boysetsfire wussten über die volle Headlinerdistanz durchaus zu gefallen. Öfters hatte man sie schon auf 45-60 Minuten Slots gesehen. Nie aber länger. Die Post-Hardcore-Combo verzichtete bewusst auf jegliche Stimmungsmache und Ansagen aus Worthülsen und Floskeln wie etwa “Ihr seid das beste Publikum vor dem wir je gespielt haben”. “Das kann ich einfach nicht”, meinte Gray, “und dann lassen wir das einfach. Danke dass ihr gekommen seid Freunde.” Sehr symphatisch. Statt zu posen zelebrierte die Band ihre Musik. Song für Song. Bis zur letzten Note.
Mit breitem Grinsen konnte man sich gegen 0:30 Uhr in der umfunktionierten Zeltarena zu klassischen Klängen des Alternative-Genres in die Müdigkeit tänzeln. Nur sollte man nicht den Fehler machen ein Bier zu bestellen. Überhaupt nicht mein Geschmack das Gebräu. Dafür, wie allgemein an den Essens- und Getränkeständen, durchaus moderate, jugendfreundliche Preise. Man merkt an allen Ecken: Es fehlt die unbedingte Absicht Gewinn mit dem Festival zu erzielen. Wohltuende Abwechslung.

Itchy Poopzkid

Apropos fehlen: Am Samstag machte sich der heisse, schweisstreibende Vortag bemerkbar. Deutlich mehr Festivalisten wollten die Duschen in Anspruch nehmen als am Tag zuvor. Freitags legte man für das Menü bestehend aus Toilettengang und Dusche 2,50 Euro auf die Bierzeltgarnitur, wartete bis die Mädels aus der Männerdusche verschwunden waren und spülte den Dreck von sich ab. Alles in allem eine Angelegenheit von 20 Minuten. Nicht so am Samstag. Zwei befreundete Journalistinnen berichteten von Wartezeiten von 90 Minuten und mehr – und das schon um 8 Uhr morgens. Gegen 10 Uhr wollte ich mir ein eigenes Bild machen und kapitulierte angesichts des langen Rückstaus vor dem einzigen Sanitärbereich. Katzenwäsche im Backstage war das Motto der Stunde. Sonntags gegen 8:30 Uhr dann das krasse Gegenbild: Die Duschen waren verwaist – man kam sich fast schon vor wie der letzte Mensch am Mini-Rock.
Bleibt als Fazit: Sanitärbereich war sauber und ordentlich wenn ich ihn betrat, mit hautfreundlichem Toilettenpapier ausgestattet. Warmes Wasser war kein Fremdwort. Vielleicht wäre es beim nächsten Ausverkauf ratsam eine Kabine mehr pro Geschlecht aufzustellen, also 12 statt 8 Duschen anzubieten.

Sauber und ziemlich entspannt ging es in den zweiten Musiktag. Leider nicht für alle. Nachts hatte auf dem Campingareal eine organisierte Bande ihr Unwesen getrieben. Zahlreiche Zelte wurden aufgeschlitzt und ausgeräumt. Daraufhin wurde das Polizeiaufgebot merklich verstärkt und auf den Bühnen die Gefahr kommuniziert. Letztlich kann man dem Festival keinen Vorwurf machen. Mit Kriminellen, die sich eine Festivalkarte kaufen um sie auf den Campingplätzen mehrfach wieder einzuspielen, haben auch viel grössere Open Airs zu kämpfen – bislang leider weitgehend erfolglos.

Kraftklub

Tag 2 war im Vorfeld mein musikalischer Favorit gewesen. Und das LineUp-Poster sollte halten was es versprach. Als Höhepunkte sind ganz sicher Itchy Poopzkid, His Statue Falls und Kraftklub zu nennen. Emil Bulls schienen gar ihren gesamten Fanclub mit ins Mini-Rock-Zelt gebracht zu haben. Es wurde laut mitgesungen, die Stimmung war prächtig. Auch bei K.I.Z. steppte der Bär – warum bleibt mir wie immer ein Rätsel. Die teils ziemlich diskriminierenden, arroganten Ansagen der Band auf der Bühne und die Lyrics sind einfach nicht meine Welt.
Wirtz bildete im Zelt vor einer sich in Auflösung befindlichen Festivalistenmasse den musikalischen Abschluss und wusste mit “oben ohne” zu überraschen. Niemals zuvor hab ich ihn ohne seine Schildkappe ein Konzert spielen sehen. Ein Meilenstein.
Die Cappy aber hätte er nach der Show gut gebrauchen können, denn mit Beginn seines Konzerts hatte es draussen erstmals an diesem Wochenende überhaupt zu regnen begonnen. Nicht nur moderat, sondern gleich richtig. Binnen Minuten verwandelte sich die vorher noch staubige Arena in eine glitschige Fläche. Kein Zuckerschlecken für die Aufräumtrupps, die gerade anfangen wollten vor der Hauptbühne sauberzumachen.

Und dann waren ereignisreiche zwei Tage auch schon vergangen. Zurück bleibt ein defektes Quechua in meiner Hand und die Erinnerung an ein kuschlig, symphatisches Festival mit einem signifikant jungen Publikum.
In Sachen LineUp kann das Mini-Rock nicht mit den ganz grossen der Zunft mithalten – aber das muss das 10.000 Besucher Festival auch nicht. Schiesslich legt man für die Wochenendkarte auch weit weniger Geld auf die Theke.
Das mit erfrischendem Herzblut von einem Verein junger und junggebliebener Horber organisierte Open Air punktet mit heimeliger Atmosphäre vor und neben der Bühne. Alles nimmt hier ein wenig entspannter seinen Gang als bei den grossen, kommerziellen Festivals. Sei es im Backstage oder vor der Bühne. Die Getränke- und Essenspreise sind sozialverträglich, das Wetter war fast schon anstrengend gut, die Stimmung ausgelassen.
Da kann man durchaus hinfahren, sofern man persönlich mehr Wert auf Atmosphäre als Blockbuster Bands legt.

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