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Musikgeschichte live. Rückblick aufs Southside 2012 – Teil 2

26. Juni 2012

Ich habe das Prinzip Partyzelt ja noch nie verstanden. Trotzdem mitgegangen, und so wenigstens einmal klassisches Southside-Wetter miterlebt: Strömenden Regen (in Kondenswasserverhältnissen). Liebes DJ-Team, “Wonderwall” bekommt auch dann seine Street Cred nicht mehr zurück, wenn ihr aus dem Song ein wunderliches Dubstep-Mashup macht. Nachdem aber gleich zwei mal “Wonderwall” dissen in einer Nachberichtserie auch nicht viel kreativer ist, als die Musikauswahl der Partyzelt-DJs, übergehen wir diesen Part lieber ganz schnell – und schauen uns den Samstag vom Southside Festival 2012 an.

Bombay Bicycle Club

Der beginnt mit Bombay Bicycle Club – und bestem Festivalwetter. Der Auftritt also sitzend vor dem Wellenbrecher. Nett anzuhören, guter Auftakt. Und wie schon beim Frequency 2011 so, dass nicht viel zum darüber berichten hängen bleibt. Anders ist das bei BOY, die am Southside ihren ersten Festivalauftritt überhaupt absolvieren. Boy, das sind Valeska Steiner und Sonja Glass, die mit ihrem Debütalbum “Mutual Friends” Charts wie Herzen der Musikkritiker gleichermaßen eroberten.

Entsprechend voll ist es auch im Red-Stage-Zelt. Selbst in der Wiese vor der Videowall sitzen Leute – und das obwohl dort der durch K.I.Z. ausgelöste Soundmatsch so ziemlich alles zerstört, was man Musik nennen könnte. Kennengelernt haben sich Sonja und Valeska bei einem “Popkurs” an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Ein Studiengang, der zum Hit-Schmied ausbilden soll. Und es ist schon so: Eingängig die Melodien, fast klischeehaft die Texte (“This is the Beginning / Of Anything You Want”) – man könnte ein Kalkül dahinter vermuten. Die Crux: Den beiden jungen Frauen nimmt man ab, was sie da singen: Dass Du wirklich alles schaffen kannst, wenn Du nur willst. Dass irgendwann der/die/das Richtige kommt. Für alles. Dass der Aufritt beim Southside Festival wirklich etwas besonders für sie ist, auf den sie sich seit Monaten freuen. Also: Popkurs-Hintergrund ausblenden und Konzert genießen.

The Shins

The Shins waren großartig. Muss langen. Im Konzert versunken, und alle Gedanken im “Was kann ich da drüber schreiben?”-Stil ausgeblendet. Wer mir nicht glaubt, kann bei DasDing reinschauen.

Nach deren Ende geht es weiter zu The XX. An die habe ich lebendige Erinnerungen vom Southside 2010. Als sie im Dunkeln spielten. In der Kälte. Die Gänsehaut kam aber von der Band. Diese besondere Atmosphäre kommt dieses mal nicht auf. Ähnlich kompakt wie 2010 steht die Band auf der Bühne. Ein “X” als einzige Dekoration. Die Sängerin hat noch immer die gleiche Bubi-Frisur, ist aber merklich dünner geworden. Und der Sänger? Hat etwas von Theo Hutchcraft von Hurts. Apropos: Die vorgestellter Lieder vom neuen Album wirken mainstreamtauglich – und tanzbarer. Ob das ein Sprung in die richtige Richtung ist, wird sich spätestens dann zeigen, wenn im September die neue Scheibe “Coexist” erscheint.

Robert Smith von The Cure

Mittlerweile ist es Abend geworden. Den ganzen Tag hatte die Sonne geschienen, bei fast wolkenfreiem Himmel. Mittlerweile ist es etwas kälter, aber immer noch angenehm. Perfekte Bedingungen für The Cure. Sie sind einer der – mir persönlich – wichtigsten Bands des Festivals. Und der Grund, warum dieser Nachbericht “Musikgeschichte live” heißt. Mehr als zwei Stunden durch die Diskographie hatte Robert Smith vorab versprochen. Was sich anhört wie ein besonderes Geschenk an die Fans, erweist sich beim Southside-Publikum schnell als Fluch. Viele Besucher hatten auf Lieder wie “Friday, I’m In Love” und “Boys Don’t Cry” gewartet. Beide fehlen im Set. Und Robert wirkt nicht wirklich nah am Publikum. Distanziert. Kühl. Das aber passt durchaus zur Musik.

Dass absolute Raritäten wie “Bananafishbones” im Set waren, fällt vielen gar nicht auf. Und so ist der Wellenbrecher gegen Ende des Konzertes noch zu etwa 3/4 gefüllt; ein trauriges Bild für einen Headliner mit der Historie. “I want to see New Order”, bekundet Robert Smith, spielt “Why Can’t I Be You?” und geht von der Bühne.

So ist das Bild am Ende des Konzertes gespalten: Nebenan steht ein hoffnungsvoller Fan, der fast das ganze Konzert mitgesungen hatte: “Die kommen noch mal. Bei allen Setlists waren sie noch mal da.” Kurz darauf betreten die Arbeiter die Bühne. “Okay, schade”. Der Kopf geht enttäuscht nach unten; und die Gruppe bewegt sich gen Blue Stage.

New Order

Nun kommt einer der Momente für Musikfans, an denen man sich am liebsten zerreisen würde: New Order versus Beirut ist eine bittere Überschneidung; die einzige, die wirklich schmerzt. Kurz geht es in das Zelt zu Beirut. Etwa zwanzig Minuten auf Höhe der Bar werden mitgenommen, in der Hoffnung dennoch zumindest die großen Hits von New Order und Joy Division mitnehmen zu können. Beirut gefallen mir, gerade dann, wenn die Bläser zum Einsatz kommen. Weniger erfreulich ist die Gruppe hinten, die meint, die Atmosphäre mit Ballermann-Hits zerstören zu müssen. Das sind so die Reallife-Facepalms des Festivals.

Also rasch vor die Blue Stage: Pünktlich zu “Blue Monday” gekommen, “True Faith” und das persönliche Lieblingslied “Regret” dagegen verpasst. An der  Videowall hinten werden Weizenfelder projiziert und Internetseiten in 90er Jahre Optik. Man könnte annehmen, New Order seien davon überzeugt, sie präsentierten mit diesem “Internet” da eine absolute Neuheit. Das verdeutlicht vor allem eines: Die Band kommt aus einer anderen Zeit (oder um in Internetjahren zu rechnen: Epoche) als die meisten Festivalbesucher. Einen Klassiker der 80er dann auf der Bühne stehen zu sehen, ist für uns Festivalisten also vor allem eines: eine spannende Lehrstunde der Musikgeschichte.

Unsere Bilder vom Southside 2012

Teil 1 / Teil 2 / Teil 3

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Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.