Der frisch veröffentlichte Timetable für Rock am Ring 2025 manifestiert sich als Statement maximaler Festival-Intensität. Mit dem lapidaren Hinweis „CURFEW: NONE” auf allen vier Bühnen kündigt der Nürburgring die totale akustische Emanzipation an – hier bestimmt nicht die Uhr, sondern die kollektive Energie, wann die Musik endet.
Freitag: Das Jubiläums-Experiment beginnt
Mystery-Acts als Festival-Opening: Die Special-Guest-Offensive
Der Freitag entfaltet sich mit einem cleveren Booking-Konzept, das perfekt zum 40-jährigen Jubiläum passt: Die Hauptbühne präsentiert drei aufeinanderfolgende “Very Special Guest“-Slots, während auf den Nebenbühnen etablierte Acts wie House Of Protection und Christin Nichols das musikalische Fundament legen. Diese taktische Platzierung anonymer Hochkaräter – vermutlich der deutschen Szene entstammend – schafft eine Mystik, die in Zeiten transparenter Setlists und Streaming-Algorithms erfrischend archaisch wirkt. In einer Ära, in der alles vorhersehbar ist, setzt Rock am Ring auf die kraftvolle Nostalgie der Überraschung – ein perfektes Geschenk zum Jubiläum.
Generationendialog im Mittelfeld
Der mittlere Tagesabschnitt orchestriert mit der Kombination aus Weezer (17:50-18:50) und Poppy (17:55-18:55) einen faszinierenden Generationendialog. Während Rivers Cuomo nostalgische Power-Pop-Riffs in die Eifelluft schleudert, dekonstruiert Poppy nebenan sämtliche Genre-Identitäten des 21. Jahrhunderts. Ein perfektes Sinnbild für den musikalischen Zeitenwandel – die analoge 90er-Alternative-DNA trifft auf digitale Post-Genre-Ästhetik, Kassetten-Nostalgie kollidiert mit TikTok-Eklektizismus.
Headliner-Ansatz: Progressive Extremität
Mit Bring Me The Horizon (23:15-01:15) als nächtlichem Hauptact demonstriert Rock am Ring ein präzises Gespür für die Evolution des Metal. Die einstigen Deathcore-Underdogs aus Sheffield haben eine faszinierende Metamorphose zum genreübergreifenden Phänomen vollzogen – ein zweistündiges Set unterstreicht diesen Statussprung vom Subgenre-Geheimtipp zur Stadion-Größe. Dieser Slot verkörpert das Festival-Ethos perfekt: Acts über Jahre aufbauen und dann auf der Jubiläumsausgabe in der verdienten Position präsentieren.
Die 3-Uhr-Revolution
Mit dem Electric Callboy DJ Set (01:50-03:00) als nächtlichem Finale definiert das Festival die Grenzen des Machbaren neu. Die Metalcore-Techno-Crossover-Ikonen als DJs bis zum ersten Sonnenstrahl anzusetzen, ist ein eindeutiges Statement zur Jubiläumsausgabe: Rock am Ring hat keine Sperrstunde, wenn vier Jahrzehnte Festivalgeschichte gefeiert werden – ein konsequenter Ansatz, der Festival-Puristen begeistern dürfte.
Samstag: Die traditionelle Metal-Dominanz
Nu-Metal-Renaissance trifft AC/DC-Tribute
Der Samstag präsentiert sich wie ein gut sortierter Metal-Plattenladen. Von Kittie‘s Y2K-Nu-Metal-Revivalism (15:15-15:50) über die gesalzene Hardrock-Hommage von Airbourne (18:30-19:25) bis zur Djent-Mathematik von Northlane (20:25-21:10) – dieser Tag ist die akustische Verkörperung eines Metal-Stammbaums, der diverse Subgenres und Epochen vereint.
Die Mainstage als Zeitreise
Mit Bullet For My Valentine (19:50-20:50), Kontra K (21:30-22:45) und Slipknot (23:30-01:15) konstruiert die Hauptbühne eine Entwicklungslinie, die von frühen 2000er-Metalcore über deutschsprachigen Erfolgsrap bis zu den maskierten Metal-Avantgardisten reicht. Diese Progression illustriert, wie sich das Festival von seinen rein Metal-orientierten Wurzeln zu einer genreübergreifenden Plattform entwickelt hat.
Der Subgenre-Marathon auf den Nebenbühnen
Auf der Mandora Stage entfaltet sich parallel eine Alternativ-Timeline mit Heaven Shall Burn (19:55-20:55), In Flames (21:25-22:25) und Rise Against (23:05-00:20) – ein Lineup, das die europäische Metalcore-DNA mit amerikanischem Punk-Ethos kontrastiert und den traditionellen Rock-am-Ring-Kern repräsentiert.
Die Late-Night-Experimente
Die extremen Spätslots mit Touché Amoré (01:50-03:00) auf der Mandora Stage und Turbostaat (00:50-02:00) auf der Atmos Stage demonstrieren den kuratorischen Mut, Nischengenres wie Post-Hardcore und deutschsprachigen Punk zu später Stunde zu programmieren – eine Entscheidung, die entweder brillant oder realitätsfern ist, abhängig vom Koffeinlevel des durchschnittlichen Festivalbesuchers.
Sonntag: Heavy Closure und Experimentalzone
Mainstream-Metal-Hybrid
Der Sonntag kombiniert Metalcore-Veteranen mit Progressive-Innovatoren. The Warning (16:20-17:20) und Idles (17:50-18:50) präsentieren unterschiedliche Konzepte gitarrenbasierter Aggression, während Jinjer (18:10-19:05) technische Präzision und vokale Extremität in einem progressiven Gesamtpaket vereinen.
Kontrastprogramm im Mittelteil
Die Kombination aus Falling In Reverse (21:15-22:45) auf der Hauptbühne und Lorna Shore (21:05-22:05) auf der Mandora illustriert die Polarisierung der modernen Metal-Szene: theatralischer Metalcore-Pop gegen symphonischen Deathcore – ein Kontrast, der die subkulturelle Spaltung zwischen Mainstream-Zugänglichkeit und extremer Authentizität verkörpert.
Die Midnight-Specials
Mit Korn (23:30-01:00) als spätem Headliner und Sleep Token (01:00-02:30) als mysteriösem Nachfolger zeigt sich die zeitliche Rekontextualisierung etablierter Acts. Nu-Metal-Pioniere, die einst Prime-Time-Slots belegten, fungieren nun als Nacht-Acts, während maskierte Newcomer die neue Post-Metal-Generation repräsentieren – ein Generationswechsel in Echtzeit.
Der Nightcrawler-Abschluss
Die spätesten Slots mit Kasalla (00:50-02:00) und Brutalismus 3000 (01:50-03:00) bilden ein faszinierendes stilistisches Spektrum, das von kölschem Karnevals-Rock bis Industrial-Techno reicht – eine Programmierung, die den traditionellen Metal-Horizont des Festivals bewusst sprengt und neue Zielgruppen erschließt.
Die Clash-Architektur: Wenn Acts kollidieren
Freitags-Kollisionen: Alternative-Generationenkonflikt
Die parallel-gesetzten Slots von Weezer (17:50-18:50) und Poppy (17:55-18:55) konfrontieren Festivalbesucher mit einer faszinierenden musikalischen Identitätsfrage: Gehst du zum nostalgischen Power-Pop-Revival, das deine Skateboard-Phase auf MTV vertont hat, oder zur metallisierten Pop-Dekonstruktion einer Künstlerin, die Genres remixt wie andere ihre Spotify-Playlists? Diese Überschneidung manifestiert einen generationellen Gap zwischen analoger 90er-Kultur und digitalem Musik-Eklektizismus.
Die späte Abendphase kreiert mit Bring Me The Horizon (23:15-01:15) und The Prodigy (22:45-00:00) eine Überschneidung, die verschiedene Arten der musikalischen Revolution gegenüberstellt: Der Post-Metalcore-Ansatz der Sheffield-Innovatoren trifft auf die elektronische Punk-DNA der britischen Rave-Legenden – eine Kollision zweier Künstler, die auf völlig unterschiedlichen Wegen zum gleichen Ergebnis kommen: Traditionelle Genregrenzen zu sprengen.
Besonders pikant: Der K.I.Z-Slot (01:00-02:30) überlappt gezielt mit den letzten Bring Me The Horizon-Minuten – ein kalkulierter Clash zwischen internationaler Metalcore-Innovation und deutschem Rap-Underground. Dass gleichzeitig auf der Atmos Stage Boston Manor (00:50-02:00) einen dritten Genre-Layer hinzufügt, macht die nächtliche Entscheidung zum Mikrokosmos der gesamten modernen alternativen Musiklandschaft.
Samstags-Überlappungen: Die Metal-Entscheidungsmatrix
Der Samstag fordert echte Genre-Loyalitäten ein. Die Parallelität von Spiritbox (18:20-19:20) und Airbourne (18:30-19:25) zwingt zur fundamentalen Entscheidung zwischen innovativem, progressivem Metalcore und klassisch inspiriertem Hard Rock-Revivalismus – ein Clash, der musikalische Grundüberzeugungen testet: Experimentierst du gerne oder bevorzugst du bewährte Strukturen?
Die nächtliche Überschneidung zwischen Slipknot (23:30-01:15) und Rise Against (23:05-00:20) etabliert eine Kollision zweier Konzepte von Rebellion: Der maskierte Chaos-Metal der Iowa-Legenden gegen den politisch geladenen Melodic-Hardcore der Chicago-Aktivisten. Dieser Clash repräsentiert zwei unterschiedliche Wege, dieselbe Emotion zu kanalisieren: Wut als theatralische Inszenierung versus Wut als politisches Instrument.
Sonntags-Konflikte: Genre-Diversitäts-Dilemma
Der Sonntag kultiviert mit Falling In Reverse (21:15-22:45) und Lorna Shore (21:05-22:05) einen faszinierenden Kontrast innerhalb der neuen Metal-Welle. Die kontroverse Metalcore-Pop-Fusion um Ronnie Radke trifft auf Will Ramos’ symphonischen Deathcore-Ansatz – ein Gegensatz, der die aktuelle Spaltung in der Szene exemplifiziert: kommerziell erfolgreiche Genre-Hybridisierung versus kompromisslose Extremität.
Die späte Nacht präsentiert mit Korn (23:30-01:00) und Powerwolf (22:45-00:00) einen symbolischen Wettstreit zwischen amerikanischem Nu-Metal und europäischem Power Metal – ein Clash zweier unterschiedlicher Metal-Philosophien, der die geografische Vielfalt der Szene abbildet und gleichzeitig divergierende Auffassungen von Theatralik und Authentizität zum Ausdruck bringt.
Die Late-Night-Konkurrenz: Schlaflos in der Eifel
Die strategische Platzierung von Sleep Token (01:00-02:30) und Brutalismus 3000 (01:50-03:00) in den extremen Nachtstunden schafft eine Konkurrenzsituation, die nur mit exzessivem Koffeinkonsum zu meistern ist. Der mysteriöse Post-Metal-Ansatz der maskierten Briten gegen die dystopische Techno-Metal-Fusion aus Berlin – ein Clash, der die aktuelle Genre-Transzendenz in der alternativen Musikszene verkörpert und gleichzeitig einen Härtetest für die Festival-Ausdauer darstellt.
Diese 3-Uhr-Herausforderung transformiert das konventionelle Festival-Ende in ein experimentelles Terrain, in dem nur die Ausdauerndsten erleben, wie alte Grenzen zwischen Metal, Electronic und Industrial in einem Moment kollektiver Schlaflosigkeit aufgelöst werden. Die Tatsache, dass diese extremen Slots mit hochkarätigen Acts besetzt sind, unterstreicht den Anspruch der Jubiläumsausgabe: Rock am Ring endet nicht, wenn die Mainstream-Besucher ins Bett gehen – es beginnt dann erst richtig.
Tabellarische Übersicht: Das komplette Programm
FREITAG, 6. JUNI 2025
UTOPIA STAGE | MANDORA STAGE | ORBIT STAGE | ATMOS STAGE |
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Very Special Guest (13:30-14:30) | House Of Protection (14:15-15:00) | Christin Nichols (14:50-15:30) | Unpeople (14:00-14:40) |
Very Special Guest (15:00-16:00) | Frog Leap (15:25-16:10) | Die Nerven (15:55-16:35) | Tulpe (15:05-15:45) |
Very Special Guest (16:30-17:20) | Myles Kennedy (16:35-17:25) | Mia Morgan (17:00-17:40) | Survive Said The Prophet (16:10-16:50) |
Weezer (17:50-18:50) | Poppy (17:55-18:55) | Soft Play (18:05-18:50) | Lølø (17:15-17:55) |
A Day To Remember (19:20-20:20) | Frank Turner & The Sleeping Souls (19:25-20:25) | Drangsal (19:15-20:00) | Fjørt (18:20-19:05) |
Biffy Clyro (21:00-22:15) | Feine Sahne Fischfilet (20:55-22:05) | Destroy Boys (20:25-21:10) | Static Dress (19:30-20:15) |
Bring Me The Horizon (23:15-01:15) | The Prodigy (22:45-00:00) | Adam Angst (21:35-22:25) | Nasty (20:40-21:30) |
Late Night Special: K.I.Z (01:00-02:30) | Olli Schulz & Band (22:50-23:50) | Fleshwater (21:55-22:55) | |
Tocotronic (00:20-01:20) | Creeper (23:20-00:20) | ||
Boston Manor (00:50-02:00) | |||
Electric Callboy DJ Set (01:50-03:00) |
SAMSTAG, 7. JUNI 2025
UTOPIA STAGE | MANDORA STAGE | ORBIT STAGE | ATMOS STAGE |
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Nothing More (15:35-16:20) | Kittie (15:15-15:50) | Still Talk (14:55-15:35) | Kris Barras Band (15:05-15:45) |
Skillet (16:50-17:50) | Imminence (16:10-16:55) | Defects (16:00-16:40) | Teen Mortgage (16:10-16:50) |
Spiritbox (18:20-19:20) | Me First and the Gimme Gimmes (17:20-18:05) | Evil Jared & Krogi (17:05-17:45) | Spiritual Cramp (17:15-17:55) |
Bullet For My Valentine (19:50-20:50) | Airbourne (18:30-19:25) | Holy Wars (18:10-18:50) | Grade 2 (18:20-19:05) |
Kontra K (21:30-22:45) | Heaven Shall Burn (19:55-20:55) | Future Palace (19:15-20:00) | Trophy Eyes (19:30-20:15) |
Slipknot (23:30-01:15) | In Flames (21:25-22:25) | Northlane (20:25-21:10) | Superheaven (20:40-21:30) |
Rise Against (23:05-00:20) | Seven Hours After Violet (21:35-22:25) | Sim (21:55-22:55) | |
Smash Into Pieces (22:50-23:50) | Zebrahead (23:20-00:20) | ||
Late Night Special: SDP (01:00-02:30) | Millencolin (00:20-01:20) Touché Amoré (01:50-03:00) | Turbostaat (00:50-02:00) |
SONNTAG, 8. JUNI 2025
UTOPIA STAGE | MANDORA STAGE | ORBIT STAGE | ATMOS STAGE |
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Dead Poet Society (15:05-15:50) | Fit For An Autopsy (15:00-15:30) | Zetra (15:00-15:35) | The Red Flags (15:05-15:45) |
The Warning (16:20-17:20) | Polaris (15:50-16:35) | I See Stars (16:00-16:40) | Leftovers (16:10-16:50) |
Idles (17:50-18:50) | Jerry Cantrell (17:00-17:45) | Amira Elfeky (17:05-17:45) | Pain Of Truth (17:15-17:55) |
Beatsteaks (19:20-20:30) | Jinjer (18:10-19:05) | Vowws (18:10-18:50) | Drug Church (18:20-19:05) |
Falling In Reverse (21:15-22:45) | The Ghost Inside (19:35-20:35) | Deafheaven (19:15-20:00) | Aviva (19:30-20:15) |
Korn (23:30-01:00) | Lorna Shore (21:05-22:05) | Whitechapel (20:25-21:15) | Massendefekt (20:40-21:30) |
Powerwolf (22:45-00:00) | Thrown (21:40-22:25) | Deine Cousine (21:55-22:55) | |
Sleep Token (01:00-02:30) | Terror (22:50-23:50) | ZSK (23:20-00:20) | |
Stray From The Path (00:20-01:20) Kasalla (00:50-02:00) | Kasalla (00:50-02:00) | ||
Brutalismus 3000 (01:50-03:00) |
Zwischen Nonstop-Ekstase und kalkuliertem Chaos
Was sich im Rock am Ring Timetable 2025 zeigt, ist kein zufälliges Nebeneinander von Acts, sondern ein durchdachtes akustisches Ökosystem. Die genreübergreifenden Überschneidungen fungieren weniger als lästige Kompromisse, sondern vielmehr als bewusste Statements zur Diversität der Szene.
Die Dichte des Programms – von Mainstream-Headlinern bis zu Subkultur-Perlen, von Pop-Punk-Nostalgie bis zu experimentellem Black Metal – spiegelt eine Generation wider, die ihre Identität nicht mehr über einzelne Genres definiert. In dieser Hinsicht funktioniert der Timetable wie der perfekte Streaming-Algorithmus: Er präsentiert nicht nur das, was du kennst und liebst, sondern konfrontiert dich kontinuierlich mit dem, was deine musikalische DNA erweitern könnte.
Die extremen Spätslots transformieren dabei das klassische Festival-Konzept: Rock am Ring definiert sich nicht mehr als zweigeteiltes Erlebnis aus Bühnenprogramm und Camping-Aftershow, sondern als durchgängige Immersion in eine Parallelwelt, in der die Uhrzeiger keine Relevanz besitzen.
Ob dieses Konzept der totalen Schlafdeprivation zugunsten maximaler musikalischer Stimulation aufgeht, wird sich zeigen. Eins ist sicher: Mit diesem Timetable manifestiert sich Rock am Ring 2025 als das perfekte Sinnbild einer Generation, die 24/7 online ist und für die die Grenzen zwischen Tag und Nacht, zwischen Mainstream und Underground, zwischen Pop und Extreme längst verschwommen sind.