Chiemsee Rocks geht ins fünfte Jahr. Durchaus imposant, was FKP Scorpio in den vergangenen Jahren an den Chiemsee geholt hat, zumal der Veranstaltungsort Übersee musikalisch durch und durch vom dort ebenso stattfindenden Chiemsee Reggae Summer geprägt ist. Die Ärzte. Die Toten Hosen. Blink-182. Foo Fighters. Im Vergleich zum Besuch Dave Grohls im Vorjahr wird 2012 eine Spur kleiner gedacht: Als Publikumsmagneten dienen die Beatsteaks und Deichkind, davor sollen die Bands Anti-Flag, First Class Ticket und Me First And The Gimme Gimmes die Stimmung anheizen.
Die ersten zwei werden aus Zeitgründen komplett ausgelassen. Und die letzten Töne von Me First And The Gimme Gimmes nehme ich bei der Ankunft am Gelände nur noch im Hintergrund wahr. Die zu erwartenden Publikumsbeleidigungen und Pop-Cover in Punk-Rock-Stil müssen also anderswo mitgenommen werden.
Alles andere ist wie gehabt: Die Kinder bessern mit Gepäcktransporten mit dem Fahrrad ihr Taschengeld auf, der örtliche Sportverein will mit seinem Brotzeitzelt mitverdienen und die Jugend vor Ort freut sich darüber, dass endlich wieder was los ist in Übersee. Mich eingeschlossen. Ein Ort, ein Festival – und jeder mischt irgendwie mit. Aber das ist ein anderes Thema.
Auf dem Gelände angekommen, werden The Gaslight Anthem größtenteils nur aus der Distanz mitgenommen, obwohl die Erwartungen vorab hoch waren. Trotz eines vielversprechenden Starts mit viel Material vom neuen Album bleibt am Ende die große Begeisterung bei mir persönlich aus.
Es mag an der Hitze liegen, die um kurz nach 18 Uhr immer noch am Gelände herrscht. Ihr neues Album „Handwritten“ ist – so die Urteile von Fans wie Kritikern – wie gemacht für spektakuläre Stadionshows. Dafür bleibt das Publikum trotz sengender Hitze verhältnismäßig unterkühlt. Liegt es an Brian „heute zu wenig Rampensau“ Fallon?
Ganz anders ist das bei Deichkind. Die haben eine neue Bühnenshow, was man wahrscheinlich keinem mehr erzählen muss, der etwas vom diesjährigen Festivalsommer mitbekommen hat. Ich persönlich sehe die beweglichen Bühnenteile und all das Drumherum tatsächlich das erste Mal. Das semi-organisierte Chaos ist einer perfekt choreographierten Show gewichen. Von Anfang bis Ende. „Bück dich Hoch“ statt „Arbeit Nervt“, Festivalbesucher zur Ekstase zu bringen ist so ein Vollzeitjob. Mit ihrer Show gelingt das den Hamburgern erstaunlich gut.
Die skurrilen Momente sind aller sichtbaren Strukturierung zum Trotz geblieben, zum Beispiel bei „Hört ihr die Signale“, das von einem angestimmten „Power Of Love“ unterbrochen wird. Von einem Mann in Opernsängern-Look (Anzug, geleckte Frisur) auf einem schwebenden Monster-Bierfass, mit dem die anderen Bandmitglieder noch kurz zuvor durchs Publikum gefahren waren. Und bei „Limit“ gibt’s dann auch noch ein Deichkind-Digitalism Mash-Up. Beim obligatorischen „Remmidemmi“-Abschluss geht es dann, wie gehabt, im Schlauchboot und Federn in die Menge. Anarchie sieht anders aus, Spaß macht’s so aber auch.
Für die Beatsteaks endet mit dem heutigen Abend die ausgedehnte Festivaltour – der „The Two Drummer Summer“, der auf der Bühne durchaus imposant aussieht. Die Show der Beatsteaks ist begeisternd wie gewohnt: Arnim verbringt gefühlt mehr Zeit im Publikum als auf der Bühne, holt sich eine Zuschauerin aus Reihe eins auf die Absperrung für ein kleines… Tänzchen, und schickt Adam Yauch in der nicht enden wollenden Zugabe mit einem Beastie-Boys-Cover Grüße in den Himmel.
Schon zuvor hatten die Beatsteaks „Twist and Shout“ gecovert, ein Cover-Cover sozusagen. Das hatte Pete Doherty bei meinem Festivalsommer-Auftakt (Rock im Park) auch schon gemacht. Der Bogen ist gespannt. Ein guter Zeitpunkt, die reguläre Spielzeit meines Festivalsommers 2012 zu beenden. Der Chiemsee Reggae Summer am kommenden Wochenende ist die Zugabe.