Dass das Lollapalooza als solches urbane Infrastrukturen nutzt, ist seit Anfang an Teil der Marke. Dass es die “true Berlin city vibes” in Städtemarketingmanier im Programmheft präsentiert, verwundert so kaum. Es ist ja auch was dran, muss hier aber nicht weiter diskutiert werden. Stattdessen ein Blick auf den Lollapalooza Sonntag, der allerdings später beginnt als er offiziell beginnt.
Zum ersten Teil des Reviews geht es hier.
Denn das sonntägliche Festivalprogramm um 12 starten zu lassen, passt nur bedingt zum besagten “Berlin night life”. Dawes, Coasts und Wolf Alice fallen so der Nacht zum Opfer. Die Musik zum persönlichen Wiederauftritt auf das Tempelhofer Gelände liefern schließlich Stereophonics mit ihrem Hit “Dakota”.
Das eigentliche Ankomminteresse gilt aber My Morning Jacket, aus einer Empfehlung eines Freundes, die ich an dieser Stelle gerne weiterreiche: Sehr großartig, was da auf der Bühne passiert: fast wirkt es, als wolle man die Vielfalt des Alternative-Rock in nur einer Band showcasen: So spielen sie etwas folkig-brav und entspannt startend mit dem Opener des neuen Albums “The Waterfall” (“Believe (Nobody knows)”), stellenweise dezent ins psychodelische abdriftend (“Victory Dance”) um dann nach einer gut nach vorne gehenden Rocknummer (“One Big Holiday”) von der Bühne zu gehen. Und, das sei noch vermerkt, “Circuital” ist ein wahnsinnig großartiger Song.
Wenig verwunderlich ist an gleicher Stelle eine Stunde später deutlich mehr los. Die Beatsteaks stehen auf der Bühne und haben Heimspiel. Das wissen sie zu nutzen mit einem Set voller Hits.
“Du mit dem Handy da. Mach das weg”, sagt Arnim einem in den ersten Reihen stehenden Fan, um eine an die Allgemeinheit gerichtete “Genießt den Moment!”-Botschaft anzuschließen. Gleiches hatte am Vortrag schon in ähnlicher Form Macklemore angebracht. Es ist eine Kritik, auf die sich offenbar alle einigen können auf diesem Festival, bei dem Selfie-auf-Facebook-posten zum Meet&Greet mit dem Star führen kann (vom Autor dieses Artikels beobachtet mit Handy in der Hand und ausgestrecktem, mahnenden Zeigefinger auf der VIP-Tribüne sitzend).
Einigen können sich gegen Konzertende auch alle Zuschauer*innen auf ein Hinsetzen und Hochspringen – und das gibt bei den Menschenmassen vor der Bühne ein ziemlich imposantes Bild ab.
Imposant ist überhaupt ein Schlagwort. Das Programm des Sonntags lässt mir die Luft, ein paar grundlegendere Worte zum Festival zu verlieren: die Veranstalter*innen haben sich erkennbar Mühe gegeben, ein Event auf die Beine zu stellen. Klar, die Musik hat einen wichtigen Platz (Und es ist durchaus angenehm, die Künstler*innen im Vergleich zu anderen Großfestivals auf der “Main Stage” und nicht der “BrauseherstellerBrummbrumm Bühne” stehen zu sehen).
Aber dann gibt es noch den gesamten Zirkus rumherum. Einen “grünen Kiez”, Kidzapalooza und Fashionpalooza und – nunja – einen Zirkus. Die unaufhörlich aufeinander folgenden Konzerte alleine gäben reichlich Momente, die man gerne umarmen würde, kämen nicht ständig neue Sinnesblitze um die Ecke, um sie zu vertreiben.
Sichtbar wird hier nicht weniger, als die Tomorrowlandisierung der Festivalwelt. Besonders deutlich macht das der Auftritt von Dada Life, die während ihr Elektrogeballer ohne ihr Zutun weiter läuft, mit Champagnerflaschen tanzende Bananen auf der Bühne nassspritzen. Zeit die großen Sinnfragen zu stellen? Mit Sicherheit nicht. Vielmehr gilt es, genau das zu lassen und das Festival als das stehen zu lassen, was es sein will: ein zweitägiger Spaß- und Ereignislieferant – mit Inseln musikalischer Höhepunkte.
So geht es auf, ein letztes Mal, vor die Alternative Stage, wo Tame Impala auf eine in tiefem Nebel gehüllte Bühne steigen, um gleich zu Beginn bei psychodelischen Visuals und aus einiger Entfernung nur als Schatten zu erkennen die epische neue Single “Let it Happen” auszubreiten. Sichtlich beeindruckt bedankt sich Sänger Kevin Parker bei dem Publikum, sich für die Band zu entschieden zu haben, während Muse auf der anderen Bühne steht.
Zu denen steuere ich mit einiger Entschiedenheit zu, höre erste Andeutungen von “Plug in Baby”. Denn Vorüberlegungen ergaben: Show-Größenwahn scheint der richtige Abschluss für diese Lollapalooza Berlin Premiere.
Meine Erwartungen an ihre Show sehen ungefähr so aus: Muse landen per Fallschirmsprung aus einem Original-Rosinenbomber auf der Bühne, nehmen ihre Instrumente in die Hand und beginnen zu spielen. Über das gesamte Konzert hinweg lassen Drohnen buntes Konfetti auf das Publikum regnen, während ein hundertköpfiges Performance-Team auf der Bühne irgendetwas Kriegsspielhaftes vorführt. Ich werde nicht enttäuscht.
Ja, die Kritik des neuen Albums “Drones” ist mir bedeutend zu sehr der verpuffende Rundumschlag mit dem Holzhammer. Ja, man kann durchaus anzweifeln, ob es nach dem ersten Konfetti- und Luftschlangen-Feuerwerk (während “Mercy”) auch noch die weiß-grau-schwarzen Riesenballons braucht, die während “Reapers” vom neuen Album die unbemannte Gefahr von oben symbolisieren sollen und doch nicht mehr bezwecken als ein “Wooooah, Luftballons!”. Und, mal ehrlich, bezüglich der Leuchtinstrumente und Zielscheiben- und Action-Movie-Visuals fange ich erst gar nicht an.
Und doch fesselt er, der alles einnehmende Pathos dieser Band, weil in ihm im Gegensatz zu den Drohnen-Ballons mehr steckt als ein wenig Luft. Hits wie “Knights of Cydonia” oder “Time Is Running Out” sind doch zu episch, um gänzlich kalt zu lassen. Es würde mich nicht wundern, wenn Muse die eigene 360° Bühne ihrer anstehenden Tour mit einer Hoverboard-Technologie ausstatten würden, damit sie während ihrer Show bis unter die Arenendecken abheben können.
Ich stünde da, äußerlich kopfschüttelnd, um die ganze große Show innerlich doch ein klein wenig zu feiern. Und ich glaube, mit mir und dem Lollapalooza insgesamt ist das ähnlich.