Sechs Studioalben stehen bei Biffy Clyro mittlerweile zu Buche. Kritiker mögen dem schottischen Trio vorwerfen, dass sie sich, beginnend mit Puzzle, von ihren Wurzeln im frickeligen Emo-Progressive-Rock immer weiter entfernten. Das neueste Werk, das Doppelalbum Opposites, kommt nun, im Vergleich zum sehr „rund“ wirkenden Vorgänger Only Revolutions, wieder mit etwas mehr Ecken und Kanten daher. Live wussten die Songs aber definitiv zu überzeugen.

Montag Abend – schlechter kann ein Konzert doch gar nicht terminiert sein. So zumindest mein Gedanke, angesichts der nachwirkenden Wochenendträgheit, die meinen Enthusiasmus noch etwas bremst. Ich schaue mich um im Saal und mir wird klar: Biffy Clyro sind im Mainstream angekommen. Bandshirts? Fehlanzeige. Und wenn, dann steht da Billy Talent. Oder Muse. Nein, Biffy Clyro sind nicht mehr die Band, die der (pseudo-)elitäre Musiknerd als seine Lieblinge für sich beansprucht. Biffy Clyro sind auf dem besten Weg zur klassischen Stadion-Rockband, könnten schon bald in die Fußstapfen der Foo Fighters treten.
Apropos Stadion-Rock! Wenn man die Vorband Blood Command beschreiben müsste, wäre Stadion-Rock der so ziemlich letzte Begriff, der mir dazu einfiele. Das norwegische Quintett ist in erster Linie laut. Getragen durch harte Gitarren-Riffs und den Wechsel zwischen normalem Gesang und krassen Shouts der zierlichen blonden Frontfrau, ist das für Freunde des Genres sicherlich ganz nett. Meinen Geschmack trifft es aber nicht. An den Reaktionen des Publikums, kann man jedoch erkennen, dass sich die Fangemeinde der Band an diesem Abend vielleicht doch um den ein oder anderen Berliner erweitern könnte.
Der Grund für den Ausverkauf heute Abend sind aber Biffy Clyro – die drei Schotten, die mit Opposites erstmals in die Top 5 der deutschen Charts vorstoßen konnten. 21 Uhr. Licht aus. „Baby, can you hoooooold meeeeeeee?“ Klassischer Einstieg mit Different People, dem Opener des neuen Albums. Das Berliner Publikum hält sich zunächst vornehm zurück, honoriert auch die schnelleren Passagen lediglich mit andächtigem Kopfnicken. Doch dann: The Golden Rule. Ein energiegeladenes Riff reicht um den Schalter komplett umzulegen, das Publikum in Extase zu versetzen. Und von diesem Moment an zieht sich dieses Prinzip wie ein roter Faden durch den ganzen Abend. Sobald Frontmann Simon Neil ein Riff anspielt, gibt es kein Halten mehr und Berlin tanzt, was die Knochen hergeben. Nur Victory Over The Sun, den besten Song des neuen Albums, weiß aus unerfindlichen Gründen kaum jemand zu würdigen (ja, diese Aussage ist extrem subjektiv).
Doch Biffy Clyro liefern an diesem Abend mitnichten ein Set, dass nur aus kraftvollen Songs besteht. Nein, Biffy Clyro können auch Balladen. So wie sich das für eine angehende Stadion-Rockband eben gehört. Und so liegen sich gestandene Männer, die eben noch bei Who’s got a Match? oder Living Is A Problem Because Everything Dies vollen Körperkontakt suchten, bei Balladen wie God & Satan oder Machines den Tränen nahe in den Armen.
Nein, als Fan der ersten Stunde muss man den neuen, massenkompatibleren Sound der Schotten nicht mögen. Man muss ihnen aber definitiv zugestehen, dass sie auch mit dieser Entwicklung eine verdammt gute Band bleiben. Und live sind sie sowieso über jeden Zweifel erhaben.
Aber es geht an diesem Abend nicht nur um die Protagonisten auf der Bühne. Nein, wir müssen auch über dich reden, liebes Berliner Publikum. Denn du hast dich von deiner hässlichsten Seite gezeigt. Vorweg: Der Tatsache, dass es sich dabei nur um einige wenige Idioten handelt, bin ich mir durchaus bewusst. Dennoch können diese einem ein ganzes Konzert versauen.
Dass einige Herren in den vorderen Reihen mit fortschreitender Dauer offenbar nicht mehr Herr ihrer Sinne waren und jegliches Taktgefühl vermissen ließen – geschenkt. Dass mit diesem völlig falschen Mitklatschen der Song Skylight völlig versaut wurde, kann ich verkraften.
Weniger tolerant kann ich aber dem Verhalten einiger – ausschließlich männlicher – Zeitgenossen im Moshpit gegenüberstehen. Ja, Biffy Clyro laden dazu ein, mal so richtig „die Sau rauszulassen“. Wenn aber einige Leute meinen, wie ein Epileptiker auf Speed um sich schlagen und treten zu müssen und dabei jeglichen Blick für die Umstehenden zu verlieren, dann grenzt das für mich an Körperverletzung. Vor allem sollten sich die betroffenen Personen mal hinterfragen, ob der Pogo zwingend weitergeführt werden muss, wenn ein Song gerade in einer ruhigen Passage steckt.
Die absolute Krönung war jedoch der junge Herr, der es tatsächlich geschafft hat, Simon Neil einen Bierbecher direkt ins Gesicht zu werfen. Ich versteh das nicht. Was denkt man sich bei so einer Aktion? Hat schonmal jemand davon gehört, dass jemand teures Geld dafür bezahlt, um ins Pariser Louvre zu gelangen, nur um dann die Mona Lisa mit faulen Eiern zu bewerfen? Nein?! Eben.
Natürlich kann man jetzt darüber streiten,ob Simon Neils Reaktion, dem Werfer ins Publikum zu folgen und vermutlich eine Ohrfeige zu verpassen, angemessen war. Verständlich ist diese Reaktion jedoch allemal. Und wenn ich dann heute auf der Facebook-Seite der Band Einträge lese, die allen Ernstes Simon Neil dafür verurteilen und ihm vorwerfen, er hätte ihren Konzertgenuss zerstört, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.
Nun ist dieser Artikel viel länger geworden als ich das eigentlich geplant hatte. Ich hätte auf den zweiten Teil auch gerne verzichtet. Denn die geschilderten Ereignisse haben auch mir ein wenig den Spaß an einem eigentlich grandiosen Konzert einer so verdammt guten Band genommen.
[tourdaten]biffy-clyro[/tourdaten]
Nur mal so – Simon Neil hat den Becher auf den Kopf bekommen, hat noch ein paar letzte Akkorde sauber zu Ende gespielt, ins Mikro gesagt „i´m not happy“, seine Gitarre an den Rowdie übergeben und sich dann mit einem beherzten Sprung von der Bühne ins Publikum begeben. Was genau dort von statten ging entzog sich meinen Blicken – länger als 10 Sekunden hat das alles aber nicht gedauert. Er hat dort wohl kaum jemanden zusammengeschlagen oder sonstwas mit dem gemacht. Der becherwerfende Idiot wurde eigentlich relativ schnell von der Security in Empfang genommen und aus dem Saal geleitet.
Fakt ist – und das ist das Wichtigste – Simon hat sich, kaum zurück auf der Bühne, direkt beim Publikum für seine Reaktion entschuldigt. Er hat also trotz „Ausraster“ genug Selbstreflexion bewiesen. Im übrigen wurde Simons Aktion und die folgende Entschuldigung vom (gefühlt) gesamten Saal mit Klatschen hornoriert. Also entschuldigt bitte liebe „Facebook“-Gemeinde – nicht Simon hat die Stimmung des Konzerts kaputt gemacht, sondern der Freak mit dem Becher wars.
Noch was – ich habe selbst jahrelang Musik gemacht. Und ohne latent agressiv zu sein – hätte man mir oder meinen Bandkollegen wärend eines Konzertes etwas an den Kopf geworfen, wäre ich auch solange hinter dem Typen hergerannt und hätte ihm den Slip bis in den Nacken gezogen, bis er den Laden verlassen hätte. Nur weil man Geld dafür bezahlt einen anderen „für sich“ spielen zu lassen, heißt noch lange nicht, dass man dann mit ihm machen kann was man will.
Also mal schön insich gehen und überlegen wie man als rechtstaatlicher Pazifist und Waldorfschüler reagiert, wenn einem Becher an den Kopf geworfen werden, wärend man seinen Namen tanzt!
Deswegen sagte ich im Vorkommentar: Das sagt sich alles so leicht. In der Situation ist es schwierig die Contenance zu wahren.
Selbst war ich zwar nicht auf der Bühne, sondern im Bühnengraben. Dort haben mich über die Jahre aber auch eine handvoll Becher erreicht. Der fieseste noch gefüllt und mittig auf die Brille. In den ersten paar Minuten wäre ich generell doch recht friedfertiger Typ dem Werfer auch gerne an die Gurgel gegangen. Ging aber nicht, weil er sich nicht lokalisieren lies.
Wirft hier wirklich jemand Simon Neil vor das Konzert mit seiner Aktion ruiniert zu haben? Ich zumindest nicht.
Und der Teil der Geschichte mit der Entschuldigung direkt auf der Bühne zeigt ja nur was ich mir schon dachte: Er ist einfach ausgetickt und hat sein ruppiges Verhalten auch schnell bedauert. Das ist menschlich.
Ganz meiner Meinung. Im übrigen stand im Artikel das bei Facebook einige miese Töne über Simons Reaktion zu lesen war
Neils Aktion, dem vollgedröhnten Assi die Fresse zu polieren war genial. Ich stand 2 Meter daneben. Er ist dem aus guten Grund flüchtenden Typen hinterhergerannt und hat ihn von hinten angesprungen, so dass der zu Boden ging. Dann hat er auf ihm draufgelegen und ihm ein paar Dinger verpasst. Sein Toningeneur hat ihn dann runtergeholt.
Man sollte von den Veranstaltern erwarten, dass sie solche Chaoten, die offenbar unter Drogen im Publikum rumspringen und andere gefährden, rausschmeißen. Seit die Wall of Death verboten ist kommt diese Unsitte immer mehr auf. Auch beim Donots Konzert im Lido letztes Jahr waren diese Assis am Start.
Einen offenbar nicht ganz zurechnungsfähigen Menschen von hinten zu Boden zu reißen und ihm „ein paar Dinger“ zu verpassen, verdient schon größten Respekt. Ohne Zweifel. :|
Denke ihn des Platzes zu verweisen -vielleicht mit einer Anzeige versehen- wäre mit etwas emotionalem Abstand die vernünftigere Option gewesen.
Aber das sagt sich aus der Entfernung natürlich leicht. Neil sind wohl kurzfristig einfach die Sicherungen durchgebrannt wegen dieser hinterhältigen Attacke. Ziemlich sicher bedauert er seine Reaktion heute auch.