Vor wenigen Minuten ist das Bloc Party Konzert in der Tonhalle München zu Ende gegangen. Matt Tong hat seine Drucksticks bei den Zuschauern verteilt, ein Roadie reihenweise Setlists in die Menge geworfen. Eine davon bleibt im Fotograben liegen. Ich hebe sie auf, will sie abfotografieren, werde aber von einer schreienden Menge in Reihe eins abgehalten, die daher kommt wie eine Horde 14-Jähriger, die gerade Justin Bieber vor sich erkannt haben will. Jeder will die Setlist mitnehmen und so Erinnerungen konservieren – wohl einen Schrein errichten oder sowas.
Sie flehen geradezu darum und strecken ihre Arme als hänge ihr Leben an den 18 Songnamen. Wenige Momente lang so fühlen wie Gott. Am Ende der Szene entscheidet das Glück: Ein Luftzug weht den Zettel in die Hände eines Zuschauers, eine andere ruft erbost „Du Idiot!“. Dabei bleibt das Konzert von Bloc Party auch so im Kopf – ganz ohne Setlist.
Das mit Bloc Party und mir ist eine längere Geschichte: Ich könnte euch erzählen, wie sie mich genervt haben. Letztes Jahr, als tageslang die Meldungen kamen: Auflösung, Drummertausch, Kele raus. All das statt neuem Material oder zumindest einer Ankündigung von derselben. Obwohl ich – und viele andere – sehnlich darauf warteten. Vor allem nach Keles Soloalbum.
Auch davon könnte ich euch auch erzählen: Wie die schon bei Bloc Party angedeuteten Elektrospielereien auf „The Boxer“ einen Höhepunkt fanden. Wie sich Kele Solo beim Frequency 2011 bei gefühlt 40 Grad gewohnt voller Energie präsentierte – und bei mir so gar nichts auslöste. Aller Rumspringerei seinerseits zum Trotz.
Ich könnte auch erzählen, wie ich mich schließlich über „Four“, die neue Scheibe, gefreut habe. Eine Rock-Platte. Bei dem das Cover schon so viel symbolisiert: Vier Bandmitglieder, viertes Album, vier Kreise. Eine runde Sache (Ha!).
Aber all das wäre letztlich nur eine feuilletonistische Überhöhung eines grundsoliden Konzertes, wie ich es mir häufiger wünschen würde.
Der Sound der Vorband, PVT, ist wie bereits von den Kollegen erwähnt „gewöhnungs- bedürftig”, was nebenbei bemerkt bei einer Experimental-Band ungefähr genauso ungewöhnlich wie der Einsatz von E-Gitarren in der Rockmusik. So experimentell ist das aber alles gar nicht: Drums und Elektrogefrikkel kombiniert mit einem schemenhaften Gesang, der die Klangwand komplettiert. Hat, nach meinem Eindruck, die meisten Zuschauer ebenso wenig begeistert wie verstört aber zumindest den Mann an den Synthies in einen Zustand der tiefen Ekstase gebracht.
Bloc Party werden angekündigt von viergeteilten Laserstrahlen, die kurz in den vier Albumfarben aufleuchten. Ähnlich kreativ wie der Start „So He Begins To Lie“, der schon bei den vorangegangenen Konzerten den Einstieg gab. Direkt darauf folgt für setlist.fm-Junkies mit „Mercury“ eine der wenigen Überraschungen in der Setlist. „Real Talk“ wenig später begeistert wie erwartet, ist es doch der klare persönliche Favorit auf „Four“.
Hier und bei vielen anderen Liedern des Abends merkt man, wie sehr Bloc Party von Kele lebt – von der gewaltigen Bandbreite seiner Stimme, von seiner unglaublichen Bühnenpräsenz. Die ganzen Animationsversuche, die einstudierten Sprachbrocken in Deutsch („Alles klar?“, „Hallo“) hätte es da für mich persönlich gar nicht gebraucht.
Auch nicht das – vielleicht ironisierte – Gehabe des Drummers als es auf Zugabe zwei zugeht: Wie schon beim ganzen Konzert nur in Shorts bekleidet, zeigt er beim Wiederbetreten der Bühne seine Muskeln, küsst daraufhin seinen Oberarm als wollte er sagen: „Seht her, ich bin so stark, ich kann auch nach Lied 16 noch auf die Drums einschlagen“.
Nicht alles an dem Abend ist gut: „Octopus“ etwa wird für meine Begriffe schwer verhunzt, die Spielzeit hätte länger sein können. Die Fans feierns trotzdem, Kele lobt sie als „bestes Münchner Publikum aller Zeiten“. Bei „Helicopter“ am Ende hätte er gar nicht in den Gesang einsteigen müssen, so gewaltig war der Chor des Publikums. Die Stimmung erreicht dort den erwartungsgemäßen Höhepunkt. Ein Jugendlicher bahnt sich den Weg aus der tobenden Menge, um eingehakt in einen Fremden seinen ausgezogenen Schuh wieder an den Fuß zu bringen. Kurz darauf verschwindet er wieder in den Massen. Als das Konzert letztlich endet sind nicht wenige nassgeschwitzt und am Ende ihrer Kräfte.
Zurück zum Kampf um die Setlist, den ich mit jeder Zeile dieses Konzertberichts besser verstehen kann. Ein Produkt der Euphorie. Entladen in einer unreflektierten „Du Idiot“-Pöbelei. Aber hey, falls Du das hier zufällig liest: Ich habe da eine Setlist für Dich.