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So war’s: Haldern Pop 2013

14. August 2013

Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch steht auf der Bühne und blickt ins Publikum. „Jetzt, nach den ersten Songs, ist Zeit, etwas zu sagen – das Publikum zu kriegen“, muss er denken. Mit „vorher als ich durch das Gelände gelaufen bin sah ich lauter Menschen über 35“ zeigt er Publikumsnähe, um dann die Pointe „die einmal im Jahr Chucks anziehen“ hinterher zu schieben. So überspitzt die Aussage, so sehr unterscheidet sich die Zusammensetzung des Publikums im Vergleich zu Festivals wie Rock am Ring, Melt! oder Southside. Besagte Menschen über 35 fallen nach kurzer Zeit auf dem Festival ebensowenig auf wie ganze Familien inklusive spielender Kleinkinder, die für ihre Kopfgröße überdimensionierten Gehörschutz tragen. Genauso wie die Jugend umliegender Dörfer gehören sie einfach dazu. Manche von ihnen waren wohl von Anfang an dabei.

Das Haldern Pop ist in diesem Jahr 30 geworden und wird nicht müde, das zu betonen. Kaum eine Band lässt sich das „Happy Birthday“ nehmen, sei es in Lied- oder Ansageform. Das Feiern von sich selbst, vor allem aber von der Musik, dürfte aber in jedem Jahr im absoluten Mittelpunkt stehen. Im Publikum zeigt sich während den Konzerten oft das gleiche Bild: In der Sonne stehend verteilen BesucherInnen Konfetti und lassen Seifenblasen in die Luft steigen. Wüsste man nicht, dass das mit dem crowdgefundeten Dokumentarfilm „Du die Schwalbe, wir der Sommer“ ohnehin passiert, ließe sich hier mit instagramig’en Retrofilter ausgerüstet ein wunderschön verklärter Hippie-Film drehen.

Bei der persönlichen Haldern-Premiere fehlt zwar die Vergleichsmöglichkeit zu Vorjahresausgaben, nicht aber die zu anderen Festivals. Und Haldern ist anders. Das merkt man vom ersten Konzert an. Das findet am Donnerstag statt: Ein klassisches Klavierkonzert. Auf einem Festival. In einer Kirche. Lubomyr Melnyk verwundert zwar anfangs mit für mich viel zu esoterisch-religiösen Aussagen über die Schöpfungsgeschichte und Zweifel an der Wissenschaft, begeistert dann aber mit seiner Musik am Klavier, die von einem vollen Orchester kommen könnte. Das Publikum träumt – und feiert dann frenetisch.

Später in der Kirche spielt Stargaze, ein Künstlerkollektiv, zunächst in Form des Streicherquartetts Musik, die mich Banausen zurückversetzen in die quälend langen Konzertmitschnitte eines Philip Glass im Musikunterricht der Schule. Zusammen mit Conor O’Brien, Sänger der Villagers , ergibt sich Minuten später ein ganz anderes Bild und man weiß am Ende nicht, ob man dieses Konzert in der Kirche oder den Auftritt der Villagers auf der Hauptbühne auf Platz 1 der Haldern-Highlights setzen soll.

Bleibt man bei den Höhepunkten setzt sich James direkt dahinter fest: Die 1981 gegründete Band kommt aus Manchester. Besonders bekannt sind sie nicht (mir auch nur von Stammkneipenbesuchen mit einem recht musikaffinen Besitzer). So scheint die Luft ein wenig raus zu sein, als bereits als Opener der persönliche Hit „Getting Away With It“ gespielt wird. Alleine für die Erkenntnis „der tanzt wirklich so“ soll es sich gelohnt haben, denkt man. Dann aber spielen sich James immer mehr ins Konzert. Am Ende holen sie ZuschauerInnen auf die Bühne „um zu tanzen, nicht um Fotos mit eurem verdammten iPhone zu machen“. Sänger Tim Booth selbst tanzt schlangenartig im Schlabberlook. Mit seiner Art, seinem Auftreten könnte er das etwas hippieske Motto des diesjährigen Haldern-Festivals nicht besser verkörpern: „be true, not better“.

Zweifellos einer dieser Haldern Momente. Andere verpasst man zwangsläufig: das Programm ist schließlich vollgepackt mit Musikern, deren Bandbreite größer ist als die klischeegeprägte Vorstellung eines Indie-Folk-LineUps es erwarten lässt. So zählt auch das elektronische Set von Gold Panda am Donnerstag Abend zu den persönlichen Höhepunkten des Festivals. Neben vielen anderen.

Das Haldern Pop sei „neben dem Schützenfest das Highlight des Jahres“, bestätigt ein Ortsansässiger im vorbeilaufen. Auch wenn sich die Veranstalter, zum 30. Jubiläum, ruhig etwas mehr ins Zeug legen hätten können: Kettcar und Tom Odell kenne man ja, aber sonst? Trotz Unkenntnis des LineUps und einiger Distanz zu den Bühnen wirkt er glücklich. Spaß haben kann man in Haldern eben ganz unterschiedlich: vor den Bühnen oder am Campingplatz. Zumindest in dieser Hinsicht ist das Haldern Pop ein ziemlich gewöhnliches Festival.

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Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.