Festivals, Hotspot

So war’s: Hurricane Festival 2013

Steffen Neumeister

Festivalfficionado, Fotodude

Neurobiologe, Festivalliebhaber. Verdient seine Brötchen mit Webseitenkonsulting (Strategische Planung, Erstellung, Pflege) bei 70six.de.

Mit einer erneuten Unwetterwarnung beginnt der Freitag Morgen. Wieder sollen sich alle Besucher in ihre Autos begeben, doch der durch die ersten Biere bereits angetrunkene Übermut lässt mich unter dem Pavillon verweilen. Gestern kam es ja auch nicht so schlimm wie gedacht. Und mein von Bier beeinflusstes Ich hat mich mal wieder richtig beraten. Ausser einem mittelstarken Regenguss bleibt alles im grünen Bereich und auch der Rest des mittlerweile evakuierungserprobten Festivalvolkes lässt sich nicht beirren.

Shout Out Louds – Foto: Sven Morgenstern

Mit Regenjacke bewaffnet geht es nun auf das Gelände. Die Shout Out Louds aus Schweden sind die erste Band, welche ich mir auf diesem Festival angucke. Eigentlich stehe ich heute nur hier, weil mir Redaktionskollege Manuel vor einigen Monaten mal einen Song, der ständig in seiner Stamm-Indie-Dorfdisko gespielt wird, ans Herz lege. Please Please Please ist eben dieser und sorgt auch für die meisten Jubelstürme im Publikum bei den ersten Tönen. Der Rest des Sets ist ok. Ja, stellenweise auch wirklich gut. Aber nichts Weltbewegendes. Ein paar Songs vor Schluss entschließe ich mich jedoch die Bühne zu wechseln, da eines meiner ersten Festivalhighlights wartet.

Boysetsfire – Foto: Sven Morgenstern

Beim letztjähren Area4 Festival waren sie für mich der absolute Abräumer. Die beste Show des gesamten Festivals. Boysetsfire. Mit entsprechender Vorfreude hüpfe ich also von einem Bein auf das andere. Ihr aktuelles Album ist letzte Woche auf Platz 22 der deutschen Albumcharts eingestiegen und auch beim Hurricane Festival füllt sich der Platz vor der Bühne ordentlich für die Post-Hardcore-Band. Boysetsfire zerlegen sich auch heute wieder ordentlichst, jedoch springt der Funke nicht so ganz über. Vielleicht sind es die Anreisestrapazen, die vielen Besuchern noch in den Knochen stecken. Trotzdem: Boysetsfire sind eine DER Livebands die um diesen Planeten touren, schlecht geht da nicht. Nur manchmal eben mehr und manchmal weniger gut.

Tegan & Sara – Foto: Sven Morgenstern

Das nächste Kreuz auf meinem Timetable sind Tegan & Sara. Im überwiegend weiblichen Publikum falle ich doch relativ schnell auf. Vor allem dann, wenn ich lauthals mitsinge. Mädchenmusik, ich weiß, mir aber egal. Ich mag die Schwestern einfach. Mit verdammt guter Backingband stehen die beiden unfassbar schüchtern wirkenden Frauen auf der Bühne. Nach jedem Applaus grinsen sie jedoch über beide Ohren und bedanken sich brav beim Publikum. Irgendwie niedlich sowas auch bei solch alten Hasen (no pun intended) im Business zu sehen. Die neuen, sehr poppigen Songs kommen live auch nochmal eine Nummer knackiger rüber. Freut mich, gefällt mir, gibt einen Daumen hoch!

Wieder zurück zur grünen Bühne. The Hives. Gibt es eine Konstante im gesamten Musikbusiness, dann ist es die, dass Sänger Pelle niemals auch nur ansatzweise Zweifel gegenüber sich selbst haben wird. Zumindest auf der Bühne. Grade heute scheint er besonders gut drauf zu sein. Dass nach mehreren Regenschauern zwischendurch mal die Sonne zwischen den Wolken hervor schaut, schreibt er sich ganz alleine auf die Kappe. “Wer ist euer Präsident? Pelle ist euer Präsident!” brüllt er in gebrochenem Deutsch über das Gelände. The Hives sind Partyschweine und sie haben die Hits. Nichts steht mehr still während dieser Show, das macht richtig Spaß.

Viele Hits haben auch Billy Talent und den wohl größten hauen sie wohl gleich zu Beginn raus. Mit Red Flag donnern die Kanadier in ihr Set. Dieses mal auf dem Co-Headliner Posten. Bei ihrem letzten Besuch 2010 haben sie noch die Kopfzeile der Hauptbühne geschmückt, jedoch lässt man dort heute berechtigterweise Rammstein den Vorrang. Heute bestätigt sich wieder meine persönliche Billy Talent-Regel. Mittlerweile habe ich die Band, selbst als nicht-Fan, so oft gesehen, dass sich Regelmäßigkeiten feststellen lassen. Billy Talent Shows die ich gesehen habe: Gut, schlecht, gut, schlecht. Klare Sache, was heute wohl an der Reihe ist. Und genau so kommt es. Das heute ist die wohl beste Billy Talent Show die ich bisher gesehen habe. Die Band ist vollstens motiviert und während passend zu Rusted From The Rain ein Regenbogen eine Brücke über das Gelände schlägt, kommt wohl niemand mehr aus dem Grinsen heraus.

Kabumm, zack, padusch, grunz, gröhl. Rammstein. Zwischenzeitlich stehe ich vor der Bühne, starre dort rauf und komme aus dem Lachen nicht mehr heraus. Das ist auch gar nicht böse gemeint. Im Gegenteil, ich fühle mich köstlichst unterhalten. Was die Band dort abfeuert ist nicht zu glauben, wenn man sie zuvor, wie ich, noch niemals live gesehen hat. Das können die doch nicht ernst meinen. Ein riesiges Feuerwerk über dem Festivalgelände VOR dem ersten Song abfeuern? Eine rosa Plüschweste? Mit einer Penisatrappe gefühlte 10 Liter falsches Ejakulat (es war Sambuca, wie ich persönlich schmecken durfte) ins Publikum spritzen? Rammstein, Alter. Die machen das tatsächlich. Ich bin überrascht wie viele Songs ich doch kenne und während mir, ca. 20 Meter von der Bühne entfernt, von den Flammen auf der Bühne schon heiß wird, frage ich mich, wie es der Band dort oben wohl so ergeht. Viel von Konzert hat das ganze nicht mehr. Das ist einfach eine perfekt einstudierte Show. Eine spektakuläre Show. Till Lindemann sieht auf der Bühne immer so schmierig aus, dass man ihm mal eine Dusche gönnen möchte. Aber das gehört wohl dazu. Wobei eine Rammstein Unplugged-Show mit Anzug und Krawatte doch wohl auch mal Stil hätte. Ich verlasse die Show jedoch vor der Zugabe, da ich heute noch andere Termine auf meinem Zeitplan stehen habe. Aus Erzählungen wurde mir jedoch überliefert, dass Rammstein ihre Show mit einer Schaumkanone in Penisform das Publikum nochmal in zartes Weiß hüllten beendeten. Kommen wohl nie so richtig raus aus der Pubertät, diese Racker.

Sigur Rós – Foto: Sven Morgenstern

Der andere, definitiv nicht verpassbare Termin ist Sigur Rós. Um ehrlich zu sein: Sehr, sehr lange konnte ich mit dieser Band nichts anfangen. Einige meiner Redaktionskollegen konnten es jedoch einfach nicht sein lassen immer wieder von der Genialität dieser Band zu schwärmen. Also gut, ich hörte mich im Vorfeld des Festivals rein und tatsächlich: Irgendwann kam der Punkt, an dem der Groschen fiel. Ich glaube, diese Band kann man entweder nur richtig, richtig gut finden, oder man kann tatsächlich gar nichts mit ihnen anfangen. Ich bin spätestens heute überglücklich, dass ersteres mittlerweile der Fall bei mir ist. Der Kontrast zu den zuvor gesehenen Rammstein könnte wohl kaum größer sein, während Sänger Jónsi seinen Geigenbogen über die Gitarrensaiten fahren lässt. Von Sekunde zu Sekunde tauche ich und auch viele andere Menschen vor der Bühne immer weiter ab in eine völlig andere Welt. So muss es wohl sein, wenn man durch die wunderschöne, isländische Landschaft schländert, ohne Gedanken an irgendwelche Verpflichtungen. Ich setze mich auf den Boden, schließe die Augen und habe ein debiles Grinsen im Gesicht, sodass zwei, die kurze Zeit darauf an mir vorbei gehen, schon darüber diskutieren, was ich denn wohl für Zeug eingeschmissen hätte. Nichts. Es sind einfach Sigur Rós. Während Hoppípolla lasse ich meine Blick durch die Menge schweifen. Viele der Anwesenden haben mit den Tränen zu kämpfen und auch ich bekomme langsam einen Klos im Hals. Die Schönheit dieses Konzertes ist wohl kaum weiter in Worte zu fassen, darum schließe ich den Festivaltag mit einem Satz ab: Das hier war wohl schon jetzt der absolut beste Auftritt des gesamten Festivals.

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