Zwischen Vorfreude und Unbehagen bewegt sich das Gefühl, das sich bei beim Studieren der letzten Setlists der aktuellen Muse-Tour breitmacht. Rom: 27 Songs. Freilichtbühne Loreley: 19 Songs. Was sollte die Zuschauer also beim zweiten Deutschland-Termin in Berlin erwarten?
Zunächst einmal ein ungewohnt namhafter Support. Während in Sankt Goarshausen noch Deaf Havanna ihr Können unter Beweis stellen durften, sind in Berlin Biffy Clyro mit von der Partie. Zwar sind die Schotten eigentlich schon für 18 Uhr angekündigt, jedoch zeigt die Uhr schon 18:45 Uhr als Biffy Clyro endlich die wunderschöne Waldbühne im Schatten des Berliner Olympiastadions betreten. Die Band um Simon Neil präsentiert sich auch an diesem Abend spielfreudig und leidenschaftlich, erfüllt die Aufgabe als Support mehr als würdig. Dass die Setlist sich bis auf eine Ausnahme (Living Is A Problem Because Everything Dies) ausschließlich aus den letzten beiden Alben zusammensetzt, ist für einige Biffy-Fanboys und -Girls (die in überraschend großer Anzahl den Weg in die Waldbühne gefunden haben) zwar schade. Für das Gros der heutigen Zuschauer dürfte aber eine Vorband in Erinnerung bleiben, die weiß, wie man auch 20.000 Besuchern, die auf eine der größten Rockbands unserer Zeit warten, einheizt.
Etwas mehr als eine halbe Stunde bleibt nun um die schöne Location zu erkunden. Zwar ist es imposant, wie die drei Ränge relativ steil nach oben verlaufen. Das resultiert aber in einem vergleichsweise kleinen Innenraum, der darüberhinaus auch noch teilweise mit der großen Bühne verbaut ist. Weitere Erkenntnis: Die Sanitärsituation ist für eine traditionsreiche und etablierte Location wie die Waldbühne ein absolutes Armutszeugnis. Aber das sind nur unbedeutende Randnotizen angesichts dessen, was sich hier in den kommenden zwei Stunden abspielen sollte.
Denn pünktlich um 20:30 Uhr wird es laut in der Waldbühne. Jubel. Schreie. Unbändige Vorfreude auf das, was jetzt bevorsteht, zeichnet die zwanzigtausend Gesichter, die ihre Blicke auf die Bühne richten. Intro. Unsustainable. Denken alle. Nichts da. Supremacy eröffnet das heutige Set. Die Stimmung steigt sofort und erreicht mit dem tanzbaren Panic Station einen ersten Höhepunkt. Als dann die ersten dreckigen Töne von Supermassive Black Hole unaufhaltsam auf die Trommelfelle drücken, gibt es in Berlin absolut kein Halten mehr. Kaum eine Fußsohle bleibt am Boden – der einzige, der jetzt noch sitzt, ist Drummer Dominic Howard.
Der Rest des Abends ist ein Selbstläufer – im positiven Sinne. Zwar wirken die vier Personen (Multiinstrumetalist Morgan Nicholls unterstützt die Band) auf der großen Bühne teilweise etwas verloren. Doch untermalt von den beeindruckenden Visuals auf den zahlreichen LED-Wänden und immer wieder einsetzenden Flammenwerfern ergibt sich ein ein stimmiges Gesamtbild, in das sich auch das offenbar ausgeprägte Ego von Frontmann Matt Bellamy hervorragend einfügt.
Souverän spielen sich Muse durch ihre Diskografie. Ob Bliss, Time Is Running Out, Knights of Cydonia oder Uprising: Das Publikum feiert an diesem Abend so ziemlich alles, was dort auf der Bühne passiert. Und zwar zurecht. Denn Muse beweisen, warum sie zu den größten Rockbands unserer Zeit gehören. Es sind nicht nur die vielen Showelemente oder die popkulturellen Anspielungen, die sich über das gesamte Konzert verteilt wiederfinden. Es ist die gesamte Bühnenpräsenz (vor allem Matt Bellamys), die diesen Auftritt am heutigen Abend prägt.
Zwei Stunden und einige Gramm aufgewirbelten Staub in der Lunge später endet der Abend schließlich mit Starlight. Vielleicht mit etwas zu viel Pathos, etwas zu viel Kitsch. Aber dennoch dieses Konzerts würdig.
Wollte man wirklich einen Kritikpunkt suchen, so ist es zweifelsohne die zeitliche Ansetzung des Konzerts. Denn komplett im Dunkeln aufgeführt, hätten die Visuals sicherlich noch mehr Eindruck geschunden. Aber sei’s drum. Das war einfach ganz großes Kino. Auch wenn man über die Dubstep-Einlagen sicherlich geteilter Meinung sein kann.