Dass Belgien anders ist, wurde mir spätestens nach meinem ersten Besuch des Groezrock Festivals im Jahre 2011 klar. Und genau deshalb zieht es mich immer wieder nach Meerhout.
Es ist das europäische Punkrockmekka. Jedes Jahr zieht es zehntausende Menschen aus ganz Europa, teilweise aus der ganzen Welt, in das belgische Nestchen Meerhout. Die drei großen Bühnenzelte lugen schon aus weiter Entfernung bei der Anreise über den Horizont.
Es riecht nach Bier. Auf dem ganzen Gelände riecht es einfach nach Bier. Das scheint dieses Punkrock zu sein von dem immer alle reden. Die dazu passenden Saufhymnen liefern am ersten Festivaltag Headliner NOFX. Zum 20. Jubiläum ihres Albums Punk In Drublic ist angekündigt, dass sie dieses in voller Länger ausspielen würden. NOFX wären allerdings nicht NOFX wenn sie nicht wieder ihr eigenes Ding daraus machten. Auf die korrekte Reihenfolge wird überhaupt keine Rücksicht genommen und am Ende werden auch der eine oder andere Song ausgelassen. NOFX machen eben worauf sie Lust haben. „The Offspring are headlining tomorrow, but we are at least 20 times better.“ Zu diesem Zeitpunkt hätte ich das auch noch vollkommen unterschrieben.
Natürlich besteht so ein Festivaltag nicht nur aus Headlinern. Boysetsfire spielen heute auch mal wieder eine ihrer fulminanten Groezrockshows. Wobei die Jungs auch schonmal in besserer Verfassung waren. Trotzdem: Schlechte Shows und Boysetsfire, das passt einfach nicht. La Dispute toben sich derweil auf einer anderen Bühne aus. Gutes Set der Band, auch wenn diese ebenfalls schon bessere Tage hatte.
Vor Headliner NOFX dürfen sich Brand New und die legendären Descendents auf der Mainstage die Klinke in die Hand geben.Vor allem bei den Descendents kocht die Stimmung über. Sie starten mit Everything Sux in ihr 60 minütiges Set, welches von diesem Punkt an nur mit Hits um sich schmeißt.
Eher schwere Kost bieten Brand New aus New York City, weshalb sich das Publikum hier auch hauptsächlich mit Kopfnicken beschäftigt. Dramaturgisch wäre ein Slottausch mit den Descendents wohl klüger gewesen.
Völlig über allem schwebend am heutigen Tag: Tim Barry. Der Singer-Songwriter aus den USA hätte es aufgrund von Tornados in seinem Heimatland beinahe nicht rechtzeitig nach Belgien geschafft. Über 40 Stunden sei er wach, so beteuert er es auf der Bühne, der einzigen open air Bühne des Festivals übrigens, vor der sich ein großes Publikum versammelt hat.
Die Menschen kennen die Texte, alles singt und hebt den Bierbecher, Arbeiterromantik gepaart mit Akustikgitarre. Und selbst wenn aus den Zeltbühnen die Knüppelbands rüberschallen: Hier wird grade einfach alles andere ausgeblendet. Eine fulminante Show.
Es ist kalt. Eisig kalt. Über vier Grad steigt das Thermometer in dieser Nacht nicht. Nicht unbedingt ideale Temperaturen zum Zelten. Aber wir sind hier schließlich auf einem Punkrockfestival. Und Punks sind hart. Punks sind immer betrunken und haben eine Lederjacke an. Doof, dass ich kein Punk bin. Ich friere.
Diese Hitze ist doch nicht auszuhalten. Gegen 10Uhr Morgens geht es nicht mehr ohne die offene Zelttür. Die Sonne knallt auf die Plane und macht das innere meines Quechuas zur Sauna. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Aber gut, so brauche ich wenigstens keinen Wecker. 14 Uhr ist nämlich der erste Appell.
The Smith Street Band aus Australien. Momentan eine meiner absoluten Lieblingsbands. Vor der Mainstage wird es immer voller. Nach der Show habe ich im Gespräch mit der Band erfahren, dass es eine der besten Shows war, die sie in ihrer Karriere gespielt hat. Wähend der Show denke ich mir: „DAS IST DIE BESTE SHOW DIE JEMALS EINE BAND AUF DIESEM FESTIVAL GESPIELT HAT!“. Ich schreie es quasi immer wieder in mich herein. Denn aus mir heraus schreie ich die Texte der Band und tanze dazu mit dem immer größer werdenden Publikum. Wenn diese Band in 5-6 Jahren nicht mindestens Stadien füllt, dann haben wir den letzten unwiederrufbaren Beweis, dass die Welt ein schlechter und ungerechter Ort ist.
Was gibt es heute denn noch? Viel Geknüppel und Geschrei. Nicht so viel für meinen Geschmack im heutigen Line-Up. Zwischendurch erwische ich mich vor der Mainstage während New Found Glory. Bitte wer hat vor 15 Jahren vergessen die Pforten zur Poppunkhölle zu verschließen? Klischee wäre noch zu milde ausgedrückt. Hier versuchen einige Mittdreißiger wie 15 zu wirken. Koste es was es wolle. Ist doch auch Poppunk. Ne, das ist scheiße! Ganz große sogar.
Da stelle ich mich lieber vor den Jägermeister Werbestand samt DJ aus dem das ganze Wochenende so Knaller wie Anton aus Tirol von DJ Ötzi oder What is Love von Haddaway ballern.
Ich brauche jetzt mal schleunigst Abwechslung. Auf dem Spielplan entdecke ich die Band Bim Skala Bim. Nie gehört, aber der Name lässt nur auf eine Musikrichtung schließen. Während ich mir den Weg über das Gelände zur Open Air Stage bahne, schallt mir der Offbeat schon entgegen. Juhu! Ska! Tanzende Menschen, Grasgeruch in der Luft, scheiß doch mal auf die aggressiven Knüppelbands, endlich mal tanzi tanzi!
Und wie! Der sehr kleine Platz vor der Bühne ist bis zum bersten gefüllt. Zwischenzeitlich teilen sich fünf Crowdsurfer gleichzeitig den Luftraum und stoßen das eine oder andere mal zusammen oder werden unsanft auf die Bühne katapultiert. Und selbst als die Spiezleit schon seit 10 Minuten abgelaufen ist, wird die Band nochmal für eine Zugabe zurückgerufen. Der Stagemanager gibt das OK und das Publikum stürmt die Bühne und verlegt den Ska-Pit eine Etage nach oben. Das tat gut! Sonne, Ska und Bier sind doch immernoch das beste Mittel gegen schlechte Laune.
Zeit für das wohl größte Experiment, welches das Festival jemals gewagt hat.
The Hives als Co-Headliner auf der Mainstage. Punk und Hardcore steht für Gleichheit, Kollegialität, Loyalität und Ehrlichkeit. Pelle Almqvist steht dafür die arroganteste, selbstverliebteste und von sich selbst am meisten überzeugte Person im Showbusiness zu sein. Natürlich ist das eine Rolle, welche er heute auf der Bühne auch mal wieder bis zum letzten auskostet. Nur scheinen das viele Menschen hier heute Abend nicht zu verstehen. The Hives liefern eine Rockshow vom allerfeinsten. Nur kommt Show in dieser Szene nicht so gut an. Die ersten Reihen sind schnell überzeugt, doch weiter hinten bleiben skeptische Blicke und verschränkte Arme in der Überzahl. Für mich persönlich ist dies eine der besten Hives Shows die ich je sah, nur ein großer Teil des Groezrockpublikums kann damit nicht so viel anfangen.
So ist es nicht verwunderlich, dass bei Nirvanas Lithium oder Weezers Undone (The Sweater Song), welche in der Umbaupause laufen, lauter mitgesungen wird als bei den Hives.
Eines bleibt noch: Eine Headlinershow von er ich mal so gar nichts erwartete. The Offspring. Abgehalfterte Rockstars die ihren Zenith vor 15 Jahren längst überschritten haben, aber immernoch auf Tour sind um ihren ausgefallenen Lebensstil zu finanzieren. 2009 sah ich sie zum ersten und letzten Mal. Es war grauenvoll. Seitdem sollen sie nicht unbedingt besser geworden sein. Genau wie bei NOFX am Vorabend feiert ein Album der Band 20. Jubiläum. Smash wird heute in voller Länge gespielt. Da dieses ebenfalls nicht unbedingt mein Lieblingsalbum der Band ist, stehe ich schon in den Startlöchern das Festivalgelände vorzeitig zu verlassen.
Die Band kommt auf die Bühne. Dexter Holland sieht mittlerweile aus wie Dieter Bohlen auf Crack. Noodles hat eine Haut wie das alte Ledersofa meiner Großeltern, zieht sich aber an, als hätte er einen Rückwärtssalto durch den nächstgelegenen Primark gemacht. Das Intro setzt ein, die ersten Töne von Nitro (Youth Energy) ertönen und die gesamte youth energy entlädt sich einem monumentalen Moshpit. Jeder einzelne im Zelt singt mit. Die Atmosphäre ist kurz vor dem explodieren und selbst die Band bemerkt, dass das hier heute Abend kein normales Konzert wird.
Egal an welchem Punkt man sich im Zelt befindet, nirgendwo herrscht Stillstand. Das markante Gitarrenriff von Come Out And Play wird lauter mitgesungen, als es der Gitarrenverstärker von der Bühne hauen kann. The Offspring spielen Smash, anders als NOFX ihr Album Punk In Drublic am Vorabend, komplett und in korrekter Reihenfolge. Nur eines heben sie sich für das Ende auf. Den Hit. Das Monster. Der Song, der jede Bauernrockparty auf 120 Grad im Schatten erhitzt. „Lalalalalalalalalala“ krächtzt Dexter Holland in Sein Mikrofon, woraufhin sich 40.000 Füße gleichzeitig im Takt in die Luft bewegen. Self Esteem walzt alles nieder und hinterlässt ein durchgezimmertes Publikum. Aber hey, das Album ist durch und die haben noch Spielzeit. Was jetzt? Eine Zugabe die seines Gleichen sucht. Nur Hits. NUR! Kein Song vom aktuellen Album (danket dem Herren!). „JA JA JA JA JA..“, der Beginn von All I Want läutet die Finalrunde ein. Why Don’t You Get A Job?, (Can’t Get My Head) Around You und zum Abschluss natürlich The Kids Aren’t Alright. Ich schüttel nur noch den Kopf. Was ist das denn hier? Mein Weltbild erschüttert. Ein Weltklasse Konzert von The Offspring. Wie eben schon erwähnt meinten NOFX am Vortag, dass sie mindestens 20 mal besser seien als The Offspring. Nach diesem Konzert würde ich sagen, dass sie es vielleicht nur 10 mal sind.