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Warum wir Caspers “xoxo” mögen

Lisa Koschate

Festivalfficionado, Fotodude

Neurobiologe, Festivalliebhaber. Verdient seine Brötchen mit Webseitenkonsulting (Strategische Planung, Erstellung, Pflege) bei 70six.de.

Seit gestern Nacht beschallen uns die Lautsprecher in Dauerschleife mit Caspers neuem Werk “xoxo”. Obwohl Deutsch-Rap und Sprechgesang für gewöhnlich so gar nicht unser Gebiet sind, begeistert uns das Album. Warum ist das so? Der Versuch eines Reviews von Lisa Koschate und Manuel Hofmann.

Casper (Foto: Four Music)

Es ist Samstagmorgen, 5:30 Uhr in der Früh. Aus meinen PC-Boxen erklingt in Dauerschleife das wohl am sehnlichsten erwartete Album dieses Sommers: Caspers neues Werk ‘xoxo’. Ich weiß, dass ich eigentlich schon lange im Bett liegen sollte, kann mich aber einfach nicht dazu durchringen, mich von dem 13 Tracks umfassenden Silberling loszureißen.
Aber warum?
Deutsch-Rap ist normalerweise gar nicht mein Gebiet, mit zu vielen Vorurteilen war es nach Bushido, Fler & Co. befleckt. Was ist also das Besondere, das Mitreißende, das Süchtigmachende an der Musik des 28jährigen?

Letztes Wochenende, Rheinkultur Festival in Bonn. Casper hat seine Teilnahme abgesagt, aus familiären Gründen. Eine HipHop Bühne gibt es dennoch: Die Mixery Raw Deluxe Stage: Pöbelnde Fans bringen die Situation zur Eskalation, stürmen erst Bühne und dann den Backstage Bereich, als klar ist, dass der nachfolgende Künstler Haftbefehl nicht auftreten wird. Großes Chaos.
Haftbefehl, der den Stereotyp des klassischen Deutsch-Rappers recht gut trifft, gibt tags darauf ein Statement ab. Besonders wichtig ist ihm die Aussage, dass er nicht von den Fans geschlagen wurde. Das würden im Internet gerüchtestreuende Idioten behaupten. Natürlich passt das nicht zum Image eines starken Gangster Rappers. Rap – das ist in meinem Kopf fest verbunden mit Sportwagen und goldkettenbehangenen Nerzträgern, die von Bikini-Frauen begleitetet werden und sich mit Geldscheinen die Zigarre anzünden.

Casper ist anders. Schwäche ist hier kein Tabu. Nein, viel mehr, die offensiv gezeigte persönliche “Schwäche” in seinen Texten ist die große Stärke des Albums: “Wir sind nicht reich, werden’s nie sein. / Probleme für’s Leben zu groß, für’s Sterben zu klein. / Du weißt, es regnet nicht ewig, immer nur schwer / nur stets zum Kinn und hör, Zeit schwimmen zu lernen.”

Das brachte Casper – schon vor diesem Album – den Ruf des “Emo-Rappers” ein. Eine bezeichnende Aussage: Musik mit Tiefgang als Szene-Tabu. Casper setzt sich darüber hinweg und erntet nun begeisterte Kritiken für “xoxo”. Die “Intro” titelt: “Casper fickt nicht deine Mutter”, weil er sich nicht ins Reich der Vulgärsprache begibt, auf Hassparolen verzichtet – und keine bezahlten Tänzerinnen zur Aufmerksamkeitsgenerierung braucht.

Doch nicht nur thematisch setzt er sich von anderen Künstlern der Szene ab. Der Tagesspiegel hält einen kurzen Überblick über Caspers persönliche Rezeptionsgeschichte bereit: “Ausgehend vom Punk entwickelte er Interesse an Hard- und Emocore, hörte Bands wie Shelter und Snapcase, sang schließlich selbst in einer Punk-Band. Ebenfalls im Referenzpool: der Indiepop von Tocotronic, Blumfeld, The Smiths.” Kürzlich berichtete er via Twitter vom Kauf des White Lies Debüts “To Lose my Life”. Diese Vielfalt spürt man von Anbeginn der Platte.
Genregrenzen niedersprengen bringt Musikschreiberlinge in Bedrängnis: Rap? Indie-Rock? Hip-Hop? Wenn das strenge Kastensystem der Musikindustrie nicht mehr passt, begeben sich Musikjournalisten häufig in das Gebiet der Wortneuschöpfung. Ohne auf diesen Trend aufspringen zu wollen, einigen wir uns auf: “Casper ist anders”.

Nicht zuletzt, weil seine Stimme Profil hat. “Denn gute Lieder schreiben wollt ich schon immer, doch passte denen nicht der Klang meiner Stimme” (“Kontrolle/Schlaf”). Hört man im ersten Moment nur die raue, kratzige Stimme eines ehemaligen Old-School-Hardcore-Sängers, so nimmt man bald die mitschwingenden Emotionen wahr.
Die einzelnen Elemente werden durch sie zu einem ganz besonderen Gesamtbild vereint, seine Texte authentisch. Man merkt: dieser Mann hat etwas erlebt, hat etwas zu sagen. Es sind seine Worte, die er dem Publikum auf Konzerten entgegenbrüllt.

Das "xoxo" Album-Cover

Zwei Lieder auf der Platte enthalten ein “feat.” im Titel. Während die Beteiligung Materias in “So perfekt” – einem an sich großartigen Lied – eher nervt (das wird deutlich, wenn man zum Kontrast die Single-Version des Lieds ohne Marterias Beteiligung hört), gelingt in “xoxo” ein wahres Meisterwerk. Es ist in Zusammenarbeit mit Thees Uhlmann enstanden, den man als Frontmann der deutschen Indie-Rock Band Tomte kennt. Gegenüber “yaez.de” kommentiert Casper: “Ich wollte schon immer mal ein Indie-Feature machen, allerdings nur, wenn es auch Sinn macht.” Hier macht es Sinn: Thees Uhlmanns Refrain harmoniert in Perfektion mit Caspers-Rap. Die Hookline von Thees in Kombination mit dem hoffnungsgebenden Text  (“Wir glauben an ein Licht, das niemals erlischt.”) macht das Lied zu etwas Besonderem. Dass  dieses Lied namensgebend für die Platte ist, passt.

Denn viele der Lieder sind auf ihre Weise besonders – das Album strotzt vor Vielfalt:

Da wäre zum Beispiel “Michael X”: da berichtet Casper von seiner Jugend:  feiern ohne an die Zukunft zu denken mit der “coolsten Gang der Stadt”. Die Vorbilder: Kurt Cobain und Bon Scott. Das Credo: Niemals älter als 27 werden. “Hoff du bist angekommen / Und deine Mum hält dein Zimmer, so wie du’s gelassen hast / An dem Moment wo dich Willen und Mut verlassen haben”. Aus dieser Grundgeschichte zaubert Casper ein bewegendes Lied: Sein Sprechgesang, in gewohnter Stimme, wird zunächst einzig von Klavier und Gitarre begleitet. Auf dem Weg zum Hook setzen im Hintergrund Drums ein. Mehr braucht es nicht.

Als genaues Gegenteil stellt sich “Die letzte Gang der Stadt” heraus. Rein musikalisch merkt man hier ganz besonders, dass Casper schon früher Kontakt zum Indie-Rock hatte. Fröhlich, fast poppig, kommt es mit Gitarre, Bass und Schlagzeug daher. Die eingängige Melodie lässt den Wunsch aufkommen, einfach unbesorgt durchs Zimmer zu tanzen und den Rest der Welt zu vergessen.
Auf den ersten Blick will die Musik nicht recht zum Text passen. Markant sind vor allem die rebellischen Zeilen “Zu viele scheiß Bands, zu viel Hype – nochmal” und “anti-alles für immer”. Rebellion – natürlich eine Antwort auf Unzufriedenheit; mit sich, seinem Umfeld, der Welt: “Diese Geisterstadt, nun mehr dein Heimatkaff / Vor bis zum Leichensack, jeder redet, keiner macht, keiner schafft’s / Wände schweigen unerträglich laut.”
Vor allem kristallisiert sich aber beim genauen Hinhören heraus, dass er, allen negativen Aspekten zum Trotz, eine gute Zeit mit “seiner Gang” hatte und ebendiese – der musikalischen Untermalung nach zu urteilen – die wichtigste Erinnerung ist: “Zieh’n um die Ruinen, sind hier Könige, doch ungekrönt / Auf Stufenzeil’n des verschlossenen Jugendheims / Die Jugend – Zeit für blutige Nasen und ‘ne gute Zeit”.

Die teils bedrückenden und traurigen Erfahrungen werden immer wieder verknüpft mit hoffnungsvollen und fröhlichen Elementen. – Teilweise gibt es diese Sprünge gar innerhalb eines Lieds. Durchaus treffend skizziert Casper damit das Leben vieler Menschen, die mit Problemen zu kämpfen haben: die Trauer und Wut über negative Erlebnisse mischt sich immer wieder mit guter – fast zu guter – Laune. Dann tauchen aber auch wieder Momente des Tiefs auf: “Denn Depression scheint niemals außer Mode zu gehen”, singt er beispielsweise in “Kontrolle/Schlaf”. Das passt teilweise nicht zusammen – meint man. Es ist wohl der Versuch, Gefühlswirrwarr in die engen Grenzen eines Albums zu pressen.

Lied für Lied reiht sich so in ein Album ein, bei dem man sich zunächst fragt: “Warum mag ich “xoxo” eigentlich?” Doch sobald man reflektiert, und seine Gedanken niederschreibt wird klar: Weil es anders ist.

Caspers “xoxo” ist ein Werk, das man auch Leuten empfehlen kann, die man sonst mit HipHop und ähnlichem jagen kann. Nicht etwa, weil das Album durchweg konsensual wäre – und so für eine breite Masse hörbar. Im Gegenteil: das Album hat Profil und Tiefgang. Und das ist für die Musikkultur Deutschlands – man denke zum Kontrast an die Anfänge von “Aggro Berlin” – ein wahrer Segen. Danke.

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