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Weezer – Das Kind das in den Brunnen fiel und sich selber rettete

28. September 2014

Ach Weezer, du, meine Lieblingsband. Was habt ihr der Welt schon Kummer bereitet. Nach dem letzten Album war es sogar schon so weit, dass eine Gruppe von Fans bereit war euch 10Mio Dollar zu zahlen, damit ihr euch auflöst und ihr euer Lebenswerk nicht weiter demontiert. Ein Weckruf?

Die 90er. Weezers Zenit. Die ersten beiden Alben der Band gelten bis heute als Meilensteine des Alternative Rocks. Blue und Pinkerton haben Härte, Melodie und Emotion so genial miteinander verstrickt, dass ihr Einfluss bis in die heutige Zeit reicht. Doch damals, nach dem Release von Pinkerton klang die Musikwelt noch ein wenig anders. Das Album wurde von Fans und Kritikern zerrissen. Die Welt war noch nicht bereit für dieses Album. Wohl auch einer der Gründe, warum die Band ihren Sound so sehr veränderte. Der Kopf der Band, Rivers Cuomo, offenbarte in diesem Album so viel persönliches und privates, legte einen Seelenstriptease hin, nur um nach Release von Kritikern auseinandergenommen zu werden. Wer hätte da schon weiterhin Lust drauf gehabt?

Heute, 18 Jahre später, sind sich Fans und Kritiker einig. Pinkerton ist ein Meisterwerk. Der Höhepunkt in der Karriere dieser Band. Selbst der legendäre Rolling Stone, die Mutter aller Musikmagazine, nahm Jahre später seinen Verriss zurück und schrieb eine neue, positive Kritik. Aber warum schreibe ich so viel über diese Zeit? Geht es hier nicht eigentlich um das neue Album Everything Will Be Alright In The End? Natürlich. Aber um den Stellenwert und die Wichtigkeit dieses Albums zu erklären, muss das Pferd von hinten aufgesattelt werden.

Nach Pinkerton gab es eine lange, lange Pause. Vier Jahre später, die Welt hatte sich mittlerweile mit dem Vorgängerwerk angefreundet, gab es das Green Album, welches Hits wie Island In The Sun oder Hash Pipe enthielt. Musikalisch waren wir wieder beim fröhlichen Powerpop des Debutalbums angelangt, doch die Texte wurden oberflächlich. Es schien, als wollte Cuomo niemand mehr an seinen wahren Gefühlen teilhaben lassen und schrieb nur noch stumpfe Popsongs. Das ging zwei Alben lang gut, da die musikalische Qualität stimmte. Doch dann war das ding irgendwann durch. Weezer versuchten sich ständig in ihrem Sound zu entwickeln, was mit Raditude in einer R’n’B-Weichspülpop Orgie gipfelte. Versuche, es nicht mal ein Jahr später mit einer gitarrenlastigen Platte, welche den Namen Hurley trug wieder auszubügeln scheiterten, weil es sich hier offenbar um einen Schnellschuss handelte. Die Songs waren hingerotzt, die Produktion war unkreativ. Das wars erstmal. Vier Jahre kein neues Weezermaterial. Gut, Rivers brachte zusammen mit Scott Murphy von der Band Allister in ein J-Pop Album auf den Japanischen Markt. Ein-zwei Songs daraus hätten, auf Englisch übersetzt, sogar ganz gut auf eine ältere Weezerscheibe gepasst. Viele Fans haben das jedoch garnicht mitbekommen, weil sie die Band bereits nach Raditude aufgaben.

Oktober 2014. Die Weezer Fanszene dürstet nach dem neuen Album ihrer Lieblingsband. Niemand kann mehr abwarten. Jeder möchte endlich dieses Album hören. Doch was ist passiert?
Seit Wochen schon füttern Weezer sämtliche Social Media Kanäle mit Teasern zum Album. Und die klingen gut. Verdammt gut. In Interviews hat sich die Band bei ihren Fans für die letzten Alben entschuldigt. Marketingtrick oder tatsächliche Reue? Die Fans nehmen es jedenfalls an und freuen sich. Zurecht.
Mit Everything Will Be Alright In The End ist der Band ein Album gelungen, welches die gesamten Ausfälle der letzten Jahre vergessen macht. Wir haben Emotionen, große Melodien, geniale Riffs, alles zerberstende Soli, gelungene Experimente. Frontmann Rivers Cuomo schreibt Texte über Liebe, sein Verhältnis zu den Fans, zu seinem Vater, echte Texte eben. Texte, die sein Innerstes wieder hervorbringen.
Die Nerdseite der Band ist auch wieder da. Wer außer Weezer würde schon Zeilen wie „Even Da Vinci couldn’t paint you and Steven Hawking can’t explain you“ (Da Vinci) in ein Liebeslied packen?

Das Album poltert herrlichst vor sich hin. Brian Bell und Rivers Cuomo schrebbeln auf den grungig verzerrten Gitarren schnelle Achtel runter, Pat Wilson treibt das ganze vergnügt und locker an den Drums voran und Scott Shriner lässt die Bassläufe rennen wie einst Matt Sharp, der erste Bassist der Band, welcher in Blue und Pinkerton involviert war.

Große Melodien säumen die Wege auf denen dieses Album schreitet. Eulogy For A Rock Band. Überrefrain. Ein Song, den die Fans vor 3-4 Jahren wohl an Weezer selbst adressiert hätten. „Adios, rock band that we love the most / this is a toast to what you did / and all that you were fighting for, who could do more? / But time marches on and words come and go. / We will sing the melodies that you wrote long ago.“ Ein Abgesang auf eine einst gute Band, die sich nun doch mal so langsam in Rente begeben sollte. Hat sich Rivers Cuomo da etwa in seine eigenen Fans reinversetzt? Zum Humor der Band passt es jedenfalls. Achja, der Ton den Rivers  am Ende von The British Are Coming trifft ist, vermutlich höher als die Erwartung an eine neue Radiohead Platte!

Endlich mal auf einem Weezeralbum: Frauengesang! Gab’s bisher nur auf der B-Seite I Just Threw Out The Love Of My Dreams, ein großartiges Lied, ebenfalls aus der Pinkerton-Ära. Diesmal gibt es mit Go Away ein Duett. Niemand kann eine Trennungsszene so bitter-süß und fröhlich vertonen wie Rivers Cuomo. Eines der vielen Highlights auf diesem Album.
Mit Foolish Father schicken Weezer den Zuhörer vermeintlich ins wohlgewärmte Heim. Ein Kinderchor der den Titel des Albums zum Ende immer wieder wiederholt. „Everything will be alriiight in the e-he-heeend…“ Hach, alle liegen sich in den Armen, Blumenblüten regnen vom Himmel, ein Regenbogen erstrahlt am Horizont, welch schöne Abschlussszene. Und dann? Weezer ziehen am Hebel, in Mitten der Bühne, welche in einem wunderschön begrünten Park an einem herrlichen Sommertag steht, öffnet sich eine Falltür und verschluckt diesen Kinderchor in einen Höllenschlund.
Weezer gehen mit uns nochmal auf eine letzte Reise. Die Futurscope Trilogy. Drei Songs, die uns auf eine wilde Achterbahnfahrt mitnehmen. Kernstück dieser Trilogie ist Anonymus, welcher von den Instrumentalstücken The Waste Land und Return To Ithaka eingekesselt ist. Die drei Songs bauen stetig aufeinander auf und enden in einem fulminanten Finale. Ein Album so episch enden zu lassen, ist das nicht eigentlich aufgrund von zu viel Geilheit verboten?
Weezer, Mensch. Geile Scheibe. Wohl die beste seit 18 Jahren. Wer hätte damit gerechnet? Vermutlich nicht mal sie selbst. Everything Will Be Alright In The End. Der Beweis, dass sich auch in den Brunnen gefallene Kinder selber retten können.

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Steffen Neumeister