So war’s: Placebo in Berlin

Placebo laden in die Mercedes-Benz-Arena. Sie ist eine Station ihrer Tour zum 20-jährigen Jubiläum des selbstbetitelten Debütalbums, die Hits verspricht und dann auch liefert.

Wenn sich die Leuchtreklame der Spätis an der Warschauer Brücke auf dem novembernassen Asphalt spiegeln, hat das fast noch etwas herbstromantisches. Wenn sich die Werbung dann aber auch in die Konzertstätte hineinträgt, die erst nach einem Mobilfunkanbieter und jetzt einem Autohersteller benannt ist, möchte ich mich am liebsten aufschwingen zu einem etwas naiven Manifest gegen die Kommerzialisierung der Popkultur. Stattdessen: Selfie gemacht mit einer Aufzugsbekannten, das vom Automaten ausgedruckt wird und unterschrieben ist mit: „Shooting-Star! Ein unvergesslicher Moment aus der Mercedes-Benz-Arena“. Danach ein Bier geholt für fünf-fünfzig und Platz genommen. Die Mehrzweckarena versprüht den Charme einer Mehrzweckarena. Zwischen den Rängen laufen virtuelle Banderolen mit den Botschaften der Sponsoren, die die Emotionen des Konzertbesuchs sogleich auffangen möchten: „Das Reiseland Türkei wünscht Ihnen eine schöne Reise durch den Abend.“ Konsumwelt Mercedes-Benz-Arena. Und nochmal: Mercedes-Benz-Arena!

Genug der jugendlichen Rebellion gegen das, was ist. Genug der teenage angst. Placebo jedenfalls haben in den letzten zwanzig Jahren auch eine gewisse Entwicklung durchgemacht. Am Anfang waren sie noch von David Bowie auf Tour mitgenommen worden für ihr Anderssein, das bei der Band immer sehr konsequent zelebriert wurde.

Und jetzt? „Wir müssen einfach einmal anerkennen, was die vielen Placebo Fans da draußen tatsächlich hören wollen. Sie waren immer sehr geduldig mit uns, weil wir live nur selten unser kommerziell erfolgreichstes Material spielen. Aber ein zwanzigster Geburtstag scheint uns angemessen, diese Haltung zu überdenken“, sagt Brian Molko zur Tour-Promo. Es ist eine Aussage, die durch den weiteren Abend leitet.

Foto: Christian Schneider
Foto: Christian Schneider

Konzertauftakt: Die Videowall der noch leeren, mit einer Großproduktion bestückten Bühne spielt ein bis vor kurzem unveröffentlichtes Promo-Video für „Every You Every Me“. Es folgt ein Video mit Fragmenten aus dem Tourleben der letzten zwanzig Jahre. Danach kommt die Band auf die Bühne und schiebt „Pure Morning“ hinterher, eines der „wollten wir nicht mehr spielen“-Lieder. Die Handys der Leute im Innenraum gehen hoch und die Displays flackern, weil auf der Bühne blaue Blitze zucken, und fast meint man, als hätte Placebo Blinkearmbänder verteilt wie Coldplay. Ist dann zum Glück doch nicht so, aber die Handydisplays kommen immer wieder, wenn sich ein Hit ankündigt. Die Displays kommen an diesem Abend oft wieder.

Auf der Bühne stehend präsentieren sich Brian Molko und Stefan Olsdal reichlich nahbar und sind sich nicht zu schade dafür, aus der kleinen Werkzeugkiste der Publikumsbespaßung zu greifen: Ein paar Brocken Deutsch (in überaus putzigem Akzent) und ein paar floskelige Worte zum Geburtstag. Nach dem Ende von „I Know“ lässt sich Molko feiern, die Hand geht zur Ohrmuschel und peitscht das Publikum schließlich zu weiterem Applaus an. Das erste Drittel ist vorbei – und das Publikum schon reichlich zufrieden.

Foto: Christian Schneider
Foto: Christian Schneider

Es beginnt das, was Molko später als „melancholic section“ des Sets abschließen wird. Hier geht es für einige Lieder noch mal um einiges sphärischer, um einiges düsterer, um einiges schwerer zu. Keine Ansagen dazwischen. Die Visuals im Hintergrund sind abstrakter, bilden zusammen eintönige Farbwände. So bleibt Zeit für die Suche nach Worten für die Stimme Molkos. Die Suche bleibt über den ganzen Abend erfolglos, will man sich nicht Floskeln wie „Melancholie versprühend“ hingeben. Belassen wir es dabei: Sie ist irgendwo dazwischen.

Einmal, mitten im Melancholie-Teil, wird Molko aus dem Hineinspielen gerissen von zwei Zuschauern, die irgendwo im vorderen Drittel des Innenraums ein wenig zu breitbeinig rumrangeln. Molkos Beschwerde darüber ist Sinnbild für großes Auftreten ganz jenseits des gewohnten Frontmannmackertums: „Fuckin’ ruining my concentration up here, i’m trying to work.“

https://twitter.com/sinalogie/status/795742233962180608

Als der schaurige Teil des Konzerts zu Ende ist, kündigt Molko einige Spaßbringer zum Abschluss an, und so schickt die Band ihr Geburtstags-Publikum, das genau das erwartet, gut nach vorne gehend in die Nacht: Hätte schon das Trio vor der eigentlichen Zugabe gereicht – „Special K“, das sehr großartige „Song to Say Goodbye“ mit zugehörigem Musikvideo im Hintergrund und „The Bitter End“ – schiebt die Band drei Zugaben nach (mit „Nancy Boy“ im ersten Block), um dann mit dem Kate-Bush-Cover „Running Up That Hill“ ein letztes Mal von der Bühne zu gehen, nicht ohne vorher noch in den Bühnengraben zu springen, um sich von den Fans zu verabschieden.

Placebo sagen, sie kommen wieder. Das Publikum schiebt sich in einer Geschwindigkeit aus dem Konzertraum, was von oben beobachtend etwas hypnotisches hat. Da sind wir wieder bei der durch und durch optimierten Konzert-Unterhaltung. Mit der aktuellen Setlist sind Placebo genauso ein Stück weit in diese Richtung gegangen und nach diesem Abend sagt man gerne, dass das alles ja auch etwas gutes haben kann.

 

 

Foto: Christian Schneider
Foto: Christian Schneider
Foto: Christian Schneider
Foto: Christian Schneider
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Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.