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Vom Soundtechniker und der Eschwegerin – oder: So wars beim Open Flair 2011

Thomas Peter

Festivalfficionado, Fotodude

Neurobiologe, Festivalliebhaber. Verdient seine Brötchen mit Webseitenkonsulting (Strategische Planung, Erstellung, Pflege) bei 70six.de.

Johanna und Chris waren für uns beim Open Flair. Was passiert wenn ein Musiker und Tontechniker zusammen mit seiner einheimischen Freundin über das Festival laufen findet man in den folgenden Zeilen und Bildern niedergelegt.

Die kompletten Bildergalerien werden am Abend nachgeliefert.

Alle Fotos: Johanna Rode

Dem Open Flair geht der Ruf des Besonderen voraus. Das attestieren dem Festival Künstler als auch Besucher gleichermassen. Einmal im Jahr befindet sich die nordhessischen Kleinstadt Eschwege im Ausnahmezustand: das „Open Flair“-Festival findet statt und für ein paar Tage steigt die Einwohnerzahl von 20.000 auf das Doppelte.

Die riesige Zeltstadt auf den Stoppelferdern neben der Stadt beschert Eschwege gleich noch einen zusätzlichen Stadtteil. Besonders ist das „Flair“ deshalb, weil es mitten in Eschwege stattfindet und somit besondere Atmosphäre und Nähe zwischen den Festivalgängern und den hier Heimischen schafft. Am direkt an der Stadt angrenzenden Werratalsee kann es sich der badewütige, aber auch der naturliebhabende Festivalgänger richtig gut gehen lassen.

Als geborene Eschwegerin bin ich natuerlich besonders überzeugt von “unserem” Festival und stark beeindruckt von seiner Entwicklung. Das “Festival der Region” findet seit 25 Jahren statt, und hat sich trotz zeitweisen finanziellen Schwierigkeiten (das Festival wird von einem ehrenamtlich arbeitenden Verein organisiert) mittlerweile in der überregionalen Festivalszene etabliert. Fast drei Monate vor dem Festival waren die Eintrittskarten bereits ausverkauft und schon jetzt, wenige Tage nach Ende des Flairs sind schon über ein viertel der Karten fürs nächste Jahr weg!

Um die überregionale Tauglichkeit der Flairs zu überprüfen, wurde ich dieses Jahr von einem bayrischen Musiker und Tontechniker begleitet, der das Festival mit sehr kritischen Augen und Ohren betrachtet hat.

Die Veranstalter des Festivals machen anscheinend alles richtig. So viel Lob von den Künstlern hört man selten von der Bühne: tolle Stimmung, die besten Securitys, die sich selbst für eine Stagediving-Einlage nicht zu schade sind – da staunen selbst die erfahrenen Musiker von Pendulum, die ein furioses Abschlusskonzert des Festivals ablieferten. Aber beginnen wir am Anfang und der heißt für den Festival-Besucher: Schlange stehen, denn 20.000 Musik-, Kleinkunst- und Festivalfans wollen mit Bändchen versorgt werden. Das kann schon mal eineinhalb Stunden dauern.

Mit dem Bändchen hat man Zutritt zu den verschiedenen Locations, denn – auch das ist etwas besonderes beim Open Flair – das Festival verteilt sich auf verschiedene Veranstaltungsorte, zwischen denen man pendeln kann/muss: dem Hauptgelände mit der großen HR3-Bühne und der kleineren „Freibühne“, dem neben dem Hauptgelände gelegenen E-Werk, einem zweiten Gelände mit dem Namen Seebühne und einem Kleinkunstzelt im Schlossgarten. Durch die Aufteilung ergibt sich die Tatsache, dass ständig jede Menge Festival-Besucher durch die Stadt laufen und so rund um die Uhr für buntes Treiben auf den Straßen und Gassen der Fachwerkstadt Eschweges sorgen. Das Festival hat die Stadt im Griff!

 

Donnerstag

Clueso

Los ging es am Donnerstag auf der Seebühne am Wehratalsee, wo am Abend Clueso als nicht mehr ganz so geheimer Special-Guest angekündigt war. Clueso trat mit seinem Projekt Discostress auf. Neben ein paar Instrumenten standen vor allem Laptops und iPads auf der Bühne. Das ganze war eine audio-visuelle Gesamtshow, Clueso-Songs im Elektro-Gewand, ziemlich beeindruckend, ziemlich modern und ziemlich tanzbar. Aber eben auch anders als man Clueso bisher kannte, was dem einen mehr dem anderen weniger gefiel – mir gefiels!

Royal Republic

Vor Clueso hatte ich mir noch die nordischen Jungs von Royal Republic angeschaut, einer derzeit massiv gehypten Band aus Schweden. Die bescherten dem Eröffungspublikum auch eine tolle Show, nur das elend lange Gelabber zischen den Stücken nervte ein bisschen. Da fehlt wohl noch die Masse an brauchbarem Songmaterial um eine komplette Show zu füllen.

Mittlerweise ging der Blick der Besucher nicht immer nur zur Bühne, sondern auch immer wieder gen Himmel: wird das Wetter halten? Es hielt, obwohl der ein oder andere Regen vom Himmel fiel, hatten wir wettermäßig noch Glück und am Sonntag dann auch einen richtig schönen Tag.

Spät geht es nach Hause, dank familiärer Beziehungen nach Eschwege in ein Haus aus Stein, mit richtigem Bett und Dusche – nichts gegen Zelten, aber als hart arbeitende Festivalisten-Korrespondentin gönne ich mir einfach diese Annehmlichkeit!

 

Freitag

Culcha Candela

Am Freitag heißt es dann Headliner-Zeit, die Stars geben sich die Klinke in die Hand. Culcha Candela weckten das Publikum mit ihrer Show, die allerdings etwas platt rüber kommt. Da fehlen ein paar echte Musiker auf der Bühne – meine Meinung. Tanzeinlagen in allen Ehren, aber mir steht der Sinn nach Livemusik wenn ich auf einem Festival bin. Trotzdem fand der Auftritt der Boygroup jede Menge Anhänger, böse Zungen sagen vor allem unter dem jüngeren, weiblichen Besuchern. Dennoch: Die bekannten Hits der Band liessen selbst die Gelassensten auf dem Platz mitwippen.

The Subways dagegen lieferten eine tolle Show ab, die zwei Mann und eine Frau-Band rockten die Menge und Bassistin Charlotte Cooper hopste wie ein gedopter Springfloh über die große Hauptbühne. Coole Band, coole Musik, allen voran der Hit “Rock & Roll Queen”. Diese Band hat Spaß gemacht.

Die Fantastischen Vier

Die Fantastischen Vier diskutierten auf der Bühne, ob sie nun zum vierten oder fünften Mal in Eschwege sind, einigten sich schliesslich auf fünf und spielten ein tolles Set mit einer guten Mischung aus alten (“Tag am Meer”) und neuen Hits (“Gebt Uns Ruhig Die Schuld”). Viele heimische Eschweger, die seit Jahren aufs Open Flair pilgern, waren von diesen Stammgästen besonders angetan. Übrigens hatten die Fantas den besten Sound, waren aber auch vergleichsweise leise. Manch andere Band war sehr, sehr laut, klang aber richtig schlecht.

Nach dem Konzert der Fantas ging es schnell rüber zur Seebühne, wo die Donots der Menge auf sehr höfliche Weise einheizten: „Jetzt aber mal bitte ausrasten, meine Damen und Herren!“. Danach versuchte sich Sänger Ingo im Gummiboot-Stagediving, ging aber nach ein paar Minuten “über Bord”. Das Gummiboot der Organisation Viva con Aqua, die auf dem Flair leere Becher einsammelt, um den Pfand für Wasserprojekte der Hungerwelthilfe zu verwenden, sollte noch einige Male während des Festivals auftauchen.

 

Samstag

Der Dritte Tag des Festivals versprach schon vom Line-Up her äußerst interessant zu werden.

Jupiter Jones

Die symaptischen Jupiter Jones erlangen Respekt, weil sie abgeklärt genug sind um ihre Monster-Ballade “Still” als das Lied zu bezeichnen, dem sie ihre Anwesenheit auf der Festivalbühne verdanken. Der Rest der Musik ist eher rockig, punkig, mitnichten schlechter als “Still”, aber halt auch anders. Achja: Das Schicksal beweist seine Fähigkeit zur Ironie, den genau bei “Still” verweigert die Gitarre von Sänger Nicolas den Dienst. Gespielt haben sie den Hit trotzdem und auch nur mit einer Gitarre klang er toll.

H-Blockx

Das die alten Herren von H-Blockx nichts verlernt haben, zeigten sie am Abend auf der Freibühne. Für viele war der Auftritt der Crossover-Rocker einer der Höhepunkte des Open Flairs. Die Atmopshäre der Freibühne auf dem Hauptgelände erweist sich als besonders stimmungsfördernd. Das Areal wird von Bäumen eingerahmt und ein kleiner Erdwall an den Seiten erlaubt auch den interessierten Besuchern die nicht am Strohwerfwettbewerb teilnehmen wollten einen guten Blick auf die Bühne. Strohwerfwettbewerb? Naja, die Fläche vor der Bühne war mit Stroh ausgelegt und das flog natürlich – bevorzugt Richtung Bühne.

Iggy And The Stooges

Als Headliner stand am Samstag mit Iggy and the Stooges eine echte Legende auf dem Programm. 64 Jahre alt/ jung, immer mit freiem Oberkörper und immer noch kein bisschen müde hüpfte der Erfinder des Stagedivings und des Punks (das muss man erst mal schaffen!) über die Bühne. „I will fucking destroy this place“ steckt die Marschroute für sein Abendprogramm ab und gleich geht es in die musikalischen Vollen. Humor hat die Legende auch noch: Auf die Frage, warum er trotz Drogeneskapaden (und entgegen Amy Winehouse) noch am Leben ist antwortet Iggy im lokalen Zeitungsinterview: „Weil wir nicht so viel Geld hatten!“ – das nenn ich abgeklärt! Trotzdem verlasse ich das Hauptgelände, als Iggy sich ein paar Fans aus dem Publikum auf die Bühne holt um mit ihnen abzutanzen, denn fast gleichzeitig zu Iggy begann auf der Seebühne Bonaparte zu spielen und ich wollte unbedingt die Show der Berliner Künstlertruppe sehen. Was soll man sagen, der Auftritt von Bonaparte dürfte der verrückteste des Festivals gewesen sein: Schräge Kostüme, sich entblätternde Tänzerinnen und Musiker und natürlich die Musik, brachten die Zuschauer in einen echten Feierrausch. Passend dazu zeigten sich die ersten Abnutzungserscheinungen am Publikum, Klamotten und Schuhwerk, sprich: die Festivalstimmung war auf dem Höhepunkt.

Bonaparte

War der Auftritt von Bonaparte der verrückteste, darf man den nachfolgenden Finnen mit dem unaussprechlichen Bandnamen Eläkeläiset getrost das Attribut “durchgeknallteste” Performance verleihen. Ich meine fünf Finnen an einem Tisch auf der Bühne, mit Casio-Keyboards, komischen Anzügen und Wodkaflaschen – das alleine ist ja schon schräg, aber dann noch die Musik: allseits bekannte Songs im „Humpa“-Style (im Prinzip: Polka-Rhtyhmus), das ist genau, was dem geneigten Festivalbesucher am dritten (durchzechten) Festivalabend die letzten Tagesreserven entlockt! Tanzen, schmunzeln und das ein oder andere Bierchen – so schön kann das Leben sein.

Achja: Badesalz hatten ihren Samstags-Auftritt aus gesundheitlichen Gründe absagen müssen, sonst hätten vermutlich mehr junge Festival-Besucher das Kleinkunstzelt im Schlosshof von innen gesehen.

 

Sonntag

Eine besondere Verbindung zum Open Flair haben die Monsters of Liedermaching, die dieses Jahr zum ersten Mal auf der großen Hauptbühne auftreten durften. Der Abstand zum Publikum war ihnen wohl dabei zu groß, denn die Musiker ließen sich auf Schlauchbooten von der HR3-Bühne zur kleineren Freibühne tragen, während dessen weiter Musik gemacht wurde. Angekommen performten sie ihre letzten Songs und übergaben an Das Pack.

Good Charlotte

Danach wurde es laut, den der Sonntag gehörte vor allem den Rockbands. Nachdem Good Charlotte einen neuen Lautstärkerekord aufgestellt hatte, beschlossen wir unseren Ohren im Kleinkunstzelt bei „Fil“, alias Philip Tägert, eine kleine “Ruhe”pause zu gönnen. Fil wurde bereits als der “lustigste Deutsche der Welt” bezeichnet und das kann ich nur bestätigen! Als ich nach gefühlten zehn Minuten auf die Uhr sah, war bereits über eine Stunde vergangen und mein Bauch tat mir vom Lachen weh.

Übrigens stand im Schlossgarten neben dem Kleinkunstzelt auch die Kinderbühne, denn auch die Nachwuchs-Festivalgänger werden nicht vergessen! Nicht nur Shows für Kinder, viele besondere Spielgeräte und zB das versorgen der Kleinen mit Ohrenschützern auf dem Hauptgelände machen das Festival auch für Familien so attraktiv.

Danach ging es wieder runter aufs Festivalgelände, wo Rise Against auftraten.

Als besondere Einlage sind auch immer wieder Performance-Künstler mit “Dundu” unterwegs, eine fast fünf Meter hohe, leuchtende Figur, die sich geschmeidig durch die Menge bewegt, zu Clueso und anderen tanzt und sogar die Bandmusiker auf der Bühne abklatscht. Fünf Künstlern hauchen dieser Kunstfigur das Leben ein.

The Sounds

The Sounds wurden ihrem Namen erst mal nicht gerecht: der Sound war bei den ersten Stücken überraschend schlecht. Sängerin nicht zu hören, Gitarre mal da, dann wieder nicht… dabei ist die Band richtig gut, hat gute Songs in petto, nur halt etwas seltsam im Sound. Auf Platte rockt das mehr, live dominieren die synthetischen Klänge, was die Band mehr nach Achtziger (also veraltet) klingen lässt, als sie verdient hat. Fazit: auch der Soundmann ist ein wichtiges Glied in der Kette. Ob der Mischer nun einen schlechten Tag hatte oder nicht – wieder gingen bei The Sounds die Meinungen auseinander, zwischen groß und langweilig war alles dabei.

Pendulum

Schon der Bühnenaufbau von Pendulum zeigt, dass das Abschluzsskonzert des Open Flairs groß werden wird. Seit diesem Konzert weiß ich, dass man auf festivals nicht nur taub, sondern auch blind werden kann. Die Lightshow, war gigantisch, aber eben auch – nun ja – hell. Sehr hell. Doch dieses Konzert liess die Menge noch einmal richtig abgehen, und zum Abschluss gönnten sich die Security auch einmal ein Tanzvergnügen – inklusive Stagediving!!!

 

Um es zusammen zu fassen: Das Open Flair ist einfach ein Knüller! Die tolle und einmalige Atmosphäre haben die diesjährigen Soundprobleme bei weitem wett gemacht und wir kommen gerne wieder.

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